Ranga Yogeshwar auf der Frankfurter Buchmesse
Foto: Heike Huslage-Koch

Ranga Yogeshwar: Mensch und Computer – wer programmiert wen?

Ranga Yogeshwar ist der bekannteste Wissenschaftsjournalist Deutschlands, Bestsellerautor, Moderator und Diplomphysiker. Er gilt als Vor- und Querdenker über wissenschaftliche und gesellschaftliche Phänomene unserer Zeit. Sein aktuelles Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft – Geschichten aus der Welt des Wandels“ ist ein Bestseller.

Ein Interview von Elita Wiegand

„Nächste Ausfahrt Zukunft“ heißt Ihr Buch, und der Titel impliziert, dass wir uns auf einer Autobahn befinden, nur noch einmal abliegen müssen – und schon stehen wir mittendrin, in der Zukunft. In Wirklichkeit aber irren wir herum und wissen noch nicht einmal, wohin die Reise geht. Wie erklären Sie sich die Orientierungslosigkeit?

Ranga Yogeshwar: Das liegt an der Zukunft selbst. Wenn es diese Klarheit gäbe, wären wir gottähnlich und könnten die nächsten Schritte sehr präzise beschreiben. Doch wir sind Menschen. Wir leben in einer Welt, in der sich radikal viel ändert.  All diese Veränderungen und Innovationen, die verändern auch uns, unsere Perspektive, und die Art, wie Gesellschaft funktioniert oder unser Arbeitsleben. Doch wenn wir aus der Gegenwart auf die Zukunft blicken, fehlt uns die Phantasie und wir können uns nicht vorstellen, dass wir vielleicht selbst anders sind und sich damit auch die Blickrichtung ändert.

Die Perspektiven haben Konzerne wie Apple, Google oder Facebook offensichtlich klar definiert. Uns wird gerne suggeriert, dass es um eine bessere Welt geht, letztlich aber sind Gewinne und Macht ausschlaggebend. Warum überlassen wir die Zukunft dem freien Markt?  

Ranga Yogeshwar: Wir beobachten eine enorme Konzentration auf die wenigen gigantischen Konzerne, die die Welt von morgen heute schon prägen. So sind die Forschungsinvestitionen solcher Konzerne wie Google, Facebook oder Apple deutlich größer, als der gesamte Etat des deutschen Forschungsministeriums. Das allein verdeutlicht, wer diese enorme Macht hat und wer die Zukunft technisch gesehen vorantreibt. Umso wichtiger wäre eine starke Politik, die dieser ökonomischen Logik entgegenwirkt.

Aber die Politik schaut zu…

Ranga Yogeshwar: In Zeiten der Transformation fällt der Politik eine besonders wichtige Rolle zu. Wir wissen aus der Geschichte, dass Veränderungen immer auch Destabilisierung bedeuten. Gesellschaften werden instabil durch bestimmte technische Veränderungen, und genau da ist die Politik gefragt. Wie schafft man Regeln, wie schafft man es, den Wandel so hinzubekommen, dass eine Gesellschaft nicht am Fortschritt zerbricht, sondern der Veränderungsprozess stabil abläuft?

Die Automobilindustrie ist ein Beispiel für die Veränderungsprozesse. Welche Rolle käme der Politik zu?   

Ranga Yogeshwar: Die Autoindustrie ist in Deutschland ein relevanter Arbeitgeber mit 150.000 Direktbeschäftigten. Wenn wir uns die Mobilität und damit die autonom fahrenden Fahrzeuge anschauen, weiß man, dass diese Industrie in Zukunft ausgedient hat. Eine weise Politik müsste antizipieren und klar kommunizieren, dass in der Automobilindustrie künftig viele Arbeitsplätze verschwinden, möglicherweise in einem anderen Bereich neu hinzukommen, aber nur möglicherweise. Wie wollen wir damit umgehen? Die Vision des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ müsste in diesem Zusammenhang stärker debattiert werden, aber das schleppt sich dahin. Und wir müssten dringend einen Diskurs darüber führen, wie wir Arbeit künftig definieren. In den letzten 400 Jahren waren Menschen davon geprägt, dass sich unser Selbstbewusstsein aus dem nährt, was wir beruflich tun, nämlich aus unserer Arbeit. Die provokante Frage ist: Woher nehmen wir unser Selbstbewusstsein, wenn es nicht mehr genügend Arbeit für alle gibt? Was passiert mit den Menschen, die keine Arbeit mehr finden? Die relevanten Zukunftsthemen werden jedoch von der Politik verdrängt. Wir – und das ist auch eine drängende Aufgabe der Politik – müssen darüber nachdenken, was das Ziel der Entwicklung ist, wohin der Fortschritt führt.

Zu den digitalen Entwicklungen gehört auch, dass die Demokratie in Gefahr ist. Sie zählen zu den Erstunterzeichnern von „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“, ein Manifest der Autoren Juli Zeh und Ilija Trojanow aus Jahre 2013. Gefordert wird eine verbindliche Internationale Konvention der digitalen Rechte. Welches „Update“ braucht die Demokratie?

Ranga Yogeshwar: Durch das Potential der Technik kennt man in Zukunft die intimsten Daten der Bürger und das ist natürlich ein Nährboden für Diktatur. Dirk Helbing, Professor für  Computational Social Science an der ETH Zürich fürchtet die Datendiktatur. (hier in ein Interview mit Dirk Helbing) Mir ist die Vokabel „Stabilität der Demokratie“ wichtiger. Dazu ein Beispiel: Kommunikation war über Jahrzehnte sehr streng hierarchisch geordnet. Die Regeln waren klar abgesteckt und die bestimmten die Großen: Die großen Verlage, große Zeitungen, große Fernsehstationen. Durch die zentralistischen Strukturen, herrschte ein Konsensforum. Die Fließrichtung hat sich jedoch durch die Digitalisierung umgekehrt: Aus Massenmedien sind die Medien der Massen geworden. Heute will und kann jeder Sender sein. Diese Fragmentierung führt zu dem neuen Phänomen: Es gibt nicht mehr die eine alleinseligmachende Wahrheit. Durch die Echokammern in den sozialen Medien entsteht eine andere Wahrnehmung. Hier ist man unter sich, vertritt die gleichen Meinungen und bestätigt sich gegenseitig – und man nimmt an, dass die Welt so ist. Diese Entwicklung führt zu einer Destabilisierung im klassischen Sinne. Die Konsensprozesse werden schwierig, weil die Reibung unterschiedlicher Meinungen, die ein Teil der Demokratie ist, den Diskurs und den kritischen Dialog ersetzt. Die Vielfalt der verschiedenen Foren haben alle in ihrer Welt einen implizierten Konsens.

Die Stabilität wackelt und nach dem Historiker Yuval Noah Harari schaffen wir den „Homo Deus“ oder wie der radikale Visionär Ray Kurzweil prophezeit, werden wir im Jahr 2030 mit Nanorobotern in unseren Gehirnen leben – und werden unsterblich sein. Sie haben Ray Kurzweil bei einer Zukunftskonferenz in Dresden erlebt – wie stehen Sie zu seinen Zukunftsthesen?  

Ranga Yogeshwar: Ray Kurzweil hat immer den technischen Fortschritt als Basis für die Entwicklung genommen. Und er hat immer sehr klar und scharf artikuliert, was technisch möglich ist und das wurde auch umgesetzt. Seine Prognosen erreichen eine Trefferquote von 86 Prozent. Seine Bilanzierung ist also nicht schlecht. Sie ist aber Ausdruck davon, dass Fortschritt nicht tiefer reflektiert wird. Doch jetzt kommen wir in eine Phase, in der der Fortschritt das Menschenbild verändern könnte. Doch ich teile weder die Angstszenarien  von intelligenten Robotern, die unsere Welt übernehmen, noch glaube ich an die Unterstblichkeit. Doch wir stehen vor der größten Herausforderung der Zukunft. „Mensch oder Computer – wer programmiert wen?“, so heißt deshalb auch mein Vortrag auf der diesjährigen CeBIT. Wir müssen uns fragen, ob wir entmündigt werden und das, was technisch möglich ist, auch umsetzen wollen.

Foto: Ranga Yogeshwar

Vieles wird aber bereits umgesetzt…

Ranga Yogeshwar: Ich war vor kurzem in Stanford und traf Tony Wyss-Coray. Er ist an der University of Standford und hat inzwischen ein Unternehmen gegründet namens Alkahest. Er ist dabei, mithilfe von Proteinbestandteilen des Blutsplasmas Menschen – zum Beispiel – von Alzheimer zu heilen. Es klingt wie ein Wunder, wenn sie das Blutplasma von jungen Mäusen nehmen und Bestandteile dieses Blutplasmas alten Mäuse injizieren und die alten Mäuse wieder jünger werden. Wow! Alkahest, der Name des Unternehmens, nährt sich aus dem Jungbrunnen, das schöne Bild, wenn man durch das Wasser geht, hinaussteigt und wieder jung ist. Ein Teil der Firmen positionieren sich in der Nähe des Silicon Valley und es gibt sogar Verknüpfungen vieler reicher Internetunternehmer, die genau diese Forschung fördern.

Algorithmen sind schneller und effizienter als wir und man stellt sich Welt als ein einziges Datenverarbeitungssystem vor. Was bleibt von uns Menschen? 

Ranga Yogeshwar: Netze sind heute relativ komplexe Gebilde. Das Interessante dabei ist, dass sie nicht mehr nach klassischen Kategorien kausal verlaufen. Aufgrund der Komplexität und der Rückkoppelungseffekte ist es so, dass diese Maschinen Entscheidungen fällen, die wir nicht mehr unmittelbar nachvollziehen können. Wir stehen wieder vor einer interessanten Frage. Dazu ein Beispiel: Wir nehmen einen Prozess, den wir in der Bank verbessern wollen. Ein Mensch möchte einen Kredit. Die Herausforderung eines Bankers besteht darin, herauszufinden, ob der gewährte Kredit auch zurückgezahlt wird. Das aber kann man heute algorithmisch lösen. Mithilfe von vielen Daten aus den sozialen Netzwerken kann man über einen Algorithmus abschätzen, ob eine Person kreditwürdig ist. Jetzt stehen wir vor einer neuen Qualität der Fragestellung. Stellen Sie sich den Algorithmus wie eine Blackbox vor. Diese Blackbox sagt Ihnen mit einer extremen Zuverlässigkeit, ob ein Kunde den Kredit zurückzahlt oder nicht – und das weitaus besser. Es gibt einen kleinen Haken: Die Blackbox ist nicht kausal, soll heißen, wenn der Mensch keinen Kredit bekommt, können Sie für die Entscheidung keinen Grund nennen.

Nutzen wir also eine Blackbox, die wir nicht verstehen, weil sie uns auf der anderen Seite ein ökonomisch besseres Ergebnis liefert? Kausalität steht als Grundprinzip der Aufklärung und macht uns Menschen aus. Das, was wir jedoch derzeit erleben ist, dass wir in ganz vielen Bereichen diese Blackbox anwenden, obwohl wir nicht verstehen, wie sie funktioniert. Die tiefere Frage ist, werden wir irgendwann Computersysteme haben, die in gewisser Weise nicht mehr rational sind?

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass den Menschen Wahrheit, Schönheit und Liebe ausmachen und Sie sagen, dass der Zukunftsentwurf eine Gemeinschaftsaufgabe werden muss. Wie?

Ranga Yogeshwar: Was uns antreibt ist unsere Sehnsucht nach Liebe und Gemeinsamkeit. Das wird sich nie ändern. Doch wenn wir über Zukunft diskutieren, haben wir oft verengte Perspektiven. Es geht aber um das „big picture“ und deshalb müssen wir viele verschiedene Facetten betrachten und zu einem Bild zusammenfügen. Wir möchten als Individuum nicht in eine Zukunft geschickt werden, die uns aufgedrückt wird, denn dann entmündigen wir uns. Wir brauchen die Freiheit der Gestaltung. Deshalb muss Zukunft auch ein gemeinsamer und gemeinschaftlicher Prozess sein. Wir müssen zusammen festlegen, wo die Richtung hingeht. Mein Apell ist, dass sich jeder einbringt und sich mit den Themen befasst. Das Ziel meines Buches ist, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass Menschen an der ein oder anderen Stelle ins Nachdenken kommen und daraus ein Diskurs entsteht, der vielfältig sein muss, der sich aber dann das Thema Zukünfte im Detail anschaut. Das Ergebnis könnte möglicherweise sein, dass wir einen neuen Gesellschaftsvertrag brauchen.


Buchtipp: „Nächste Ausfahrt Zukunft – Geschichten aus einer Welt des Wandel“ von Ranga Yogeshwar. Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch