Nun auch noch fälschungssichere Garne?

Bei so manchen Entwicklungen steht dem Leser die kopfschüttelnde Sinnfrage fast schon auf der Stirn geschrieben: Fälschungssichere Garne – wer braucht die denn? Meine Oma nicht!

Das Schlüsselwort für den für den Fälschungsschutz von hochwertigen Textilprodukten über gängige Modemarken hinaus heißt Sequenzfunktionalisierung. Das praxisreife Verfahren kommt aus Europas größtem Textil-Forschungsstandort Denkendorf bei Stuttgart. Die Innovation des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) soll Garnen einen unverwechselbaren Fingerabdruck verleihen und sie als Markenprodukte ausweisen. Und wozu das Ganze?

ITV-Technologieexperte Christoph Riethmüller gibt Auskunft: An der fälschungssicheren Identifikation von Originalprodukten bestehe von Seiten gerade auch der der Hersteller technischer Textilien mit hohen Sicherheitsanforderungen ein „riesiges Interesse“. Ob große Textilmembranen zur Stadionabschattung, Geotextilien für den Straßenbau, Spezialgurte mit mehreren Tonnen Tragkraft oder Airbag im Auto: Die Produkt- und Markenpiraterie hat sich zu einer der gravierendsten Formen der Wirtschaftskriminalität entwickelt. Plagiate sind zum Milliardengeschäft geworden. Weil manche Hochleistungsgarne mit einem ausgefeilten Eigenschaftsprofil oft für Hightech-Anwendungen eingesetzt werden, muss sichergestellt werden, dass diese wirklich auch vom Originalhersteller stammen.

Sequenzfunktionalisierung: Sieht geheimnisvoll aus; ist es auch (Quelle: ITV)

Unsichtbarer „Barcode“ im Garn

Zu den „Smart Textiles“ als Symbiose von elektrisch leitenden Fäden und Textilflächen, in die elektronische Bauelemente oder Mikrosystemtechnik integriert sind, gehören auch die neuartigen Sensorgarne mit „Fingerabdruck“-Funktion. In ihnen werden über spezielle Sequenzspulen und einem Färbeverfahren ähnelnder chemischer Funktionalisierung die sensorischen Eigenschaften erzeugt. Vergleichbar hierzu können in konventionellen Garnen und für den Menschen unsichtbar verbesserte Sicherheitsmerkmale von großer Tiefe und Exaktheit untergebracht werden – vorstellbar wie ein „unsichtbarer Barcode“. Deshalb kann aus dem so strukturiertem Garn etliches abgelesen werden: Herstellerdatum, Artikelnummer, Maschinenbezeichnung etc. Dabei sind einzelne Sequenzen für diese Informationen beliebig wählbar, täglich oder stündlich veränderbar und unzählige Varianten möglich. Das erlaubt die sichere Kennzeichnung auch kleinster Mengen.

Anwenderleitfaden abrufbar

Dem über die Industrielle Gemeinschaftsforschung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (IGF) geförderten Projekt liegen Praxisbedingungen zugrunde. Projektpartner wie Garnhersteller, Webereien, Maschinenbauer, Chemie- oder Sicherheitsunternehmen ließen ihre Erfahrungen und Entwicklungen in diese Forschungen einfließen. Im Ergebnis 30-monatiger Vorlaufforschung entstand ein Leitfaden für die Anwendungsmöglichkeiten der Sequenzfunktionalisierung – interessant vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen. Sie können diese neuartige Technologie künftig in die eigenen Abläufe integrieren. Das sei durch Anpassungsmodule an den bestehenden Maschinenpark ohne großen Aufwand und mit vergleichsweise geringen Kosten für hohen Plagiatsschutz möglich, versichert Riethmüller. Das ITV Denkendorf unterstützt solche Umsetzungsvorhaben als Dienstleister.