New Work – New Mindset – New Life
Neben Freiheit und Selbstständigkeit zählt vor allem ein neues Miteinander

von Ulrike Stahl *

Der Begriff „New Work“ ist derzeit in aller Munde. Kein Wunder, wird damit doch größere persönliche Erfüllung durch mehr Partizipation, Selbstbestimmung und Potenzialentfaltung verbunden. Genau das was den 84 % der Mitarbeiter fehlt, die in der vielzitierten Gallup-Studie angeben, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen oder innerlich schon gekündigt zu haben.

Vieles was uns bislang als selbstverständlich erscheint, wird es in dieser Form bald nicht mehr geben. Schon spüren wir den Wandel in den Unternehmen, wo sich immer öfter feste Strukturen auflösen, die Generation Y in einem völlig anderen Takt lebt und arbeitet. Ein fester Arbeitsort gehört zum Teil heute schon der Vergangenheit an – an seine Stelle treten immer öfter mobiler Arbeitsplatz oder – zumindest zeitweise – das Home-Office. Nur logisch, dass in einem solchen Umfeld, in dem Unternehmen mehr und mehr den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht werden, auch das Miteinander neu definiert werden muss. Je stärker das Individuum, umso wichtiger werden Netzwerke – ob es nun darum geht, sich in immer wieder neu zusammengestellten Teams schnell zurechtzufinden und miteinander wirksamer zu arbeiten, gemeinsam kreativer zu sein oder sich manchmal schlicht und einfach nur nicht so alleine zu fühlen.

Überwindung der reinen Lohnarbeit

Der Begriff „New Work“ wurde von dem Philosophen Frithjof Bergmann geprägt, der als Begründer der New Work-Bewegung gilt. Unter “neuer Arbeit” versteht Bergmann die Überwindung der reinen Lohnarbeit. Ziel der Arbeit ist für ihn vielmehr die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und Kreativität. Es geht um Freiheit, Selbstständigkeit und Gemeinschaft – um schließlich eine Arbeit auszuüben, die man “wirklich, wirklich will”.

Natürliche Konsequenz der Digitalisierung

New Work ist nichts anderes als die logische Folge von Digitalisierung und Globalisierung. Stück für Stück passt sich die Arbeit dem Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft an. Im Zuge dessen werden Arbeiten, die standardisierten Prozessen folgen, zunehmend von  Maschinen und künstlicher Intelligenz übernommen. Was in den Händen der Menschen bleibt ist der Schöpfungsakt: Eigene Ideen einzubringen und selbstbestimmt zu handeln, wird nicht nur möglich, sondern immer häufiger auch gefordert.

Neue Herausforderungen erfordern ein neues Mindset

Die Arbeitswelt steht also weiterhin vor Veränderungen und damit neuen Herausforderungen. Diese zu meistern ist nicht nur Aufgabe der Unternehmen. Jeder einzelne Mitarbeiter wird sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob er ihnen gewachsen ist. Schließlich ist ein Großteil der derzeit arbeitenden Bevölkerung geprägt durch ein Schul- und Arbeitssystem, das zum einen auf ein Leistungsprinzip baut, indem sich der Stärkere und Bessere durchsetzt und andererseits klar regelt, innerhalb welcher Grenzen man sich zu bewegen hat, um noch dazuzugehören – insbesondere, wenn man nicht der Stärkste und Beste ist. Deshalb erfordert New Work heute mehr denn je auch ein New Mindset. Ein Mindset, das dafür sorgt, unterschiedlichste Einflüsse und Fähigkeiten zu nutzen. Ein Mindset, das aus diesen Unterschieden ein Miteinander entstehen und so gemeinsamen Erfolg wachsen lässt. Ein Mindset, das Individuen dabei hilft, ein komplexes Netzwerk zu bilden und zu steuern. Ein Mindset, das sich anhand des Mango-Prinzips beschreiben lässt:

Miteinander

Uns abzugrenzen ermöglicht es, uns selbst durch- und über andere hinwegzusetzen. Im New Work hingegen wird Diversität groß geschrieben. Möglichst vielfältig sollen die Einflussfaktoren – ob wirtschaftlich, ethnisch, kulturell oder sozial – sein. Divers zusammengestellte Teams sollen von unterschiedlichen Erfahrungen profitieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, das Augenmerk nicht auf das zu richten, was die Beteiligten trennt, sondern auf das, was diese verbindet. Ein solcher Fokus unterstützt nicht nur die kooperative Zusammenarbeit, er eröffnet auch die Möglichkeit, besonders gut mit komplexen Problemstellungen zurechtzukommen.

Alle im Blick

Das Konkurrenzdenken verleitet uns zu einem entweder-oder-Denken. Entweder ich gehöre zu den Gewinnern und kann mich durchsetzen oder ich muss mich unterwerfen. Bei New Work geht es jedoch um Partizipation und Eigenverantwortung. Das ist kein Kuschelkurs, sondern ein echter Meinungsaustausch mit dem Ziel, zur besten Lösung zu kommen. Dazu braucht es zunächst einen eigenen Standpunkt und die Bereitschaft, diesen zu teilen. Viele Menschen wissen, was sie nicht wollen, haben aber kein klares Verständnis davon, was ihre eigentlichen Interessen, Werte und Ziele sind. Aber nur wenn diese formuliert werden, können sie auch Berücksichtigung finden. Und nur wenn sie Berücksichtigung finden, finden wir uns auch emotional beteiligt. Gleichzeitig geht es aber darum, den Kontext und die Interessen der anderen zu verstehen. Das erfordert Neugier, die Fähigkeit Fragen zu stellen und zuzuhören. Nur wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen, können Lösungen gefunden werden, die möglicherweise nicht jedem gerecht werden, hinter denen aber alle stehen können.

Nutzen stiften

Im New Work geht es nicht mehr darum, wie hart jemand arbeitet, sondern welchen Nutzen er damit stiftet, sowohl für das Unternehmen als auch für die Kollegen und den Kunden. Netflix erwartet von seinen Mitarbeitern Selbstlosigkeit. Im culture deck, das vor sechs Jahren vom CEO Reed Hastings erstmals gepostet wurde und von vielen mittlerweile als New Work Manifest betrachtet wird, heißt es dazu, dass vom Mitarbeiter erwartet wird, mehr danach zu streben, was für das Unternehmen am besten ist als nach dem eigenen Vorteil oder dem der Gruppe zu suchen. Weiterhin beinhaltet es, bei der Suche nach der besten Lösung das Ego außen vor zu lassen, den Kollegen zu helfen und Informationen proaktiv zu teilen. Gerade was das Teilen von Informationen angeht, hat man in Unternehmen jedoch oft den Eindruck, dass das eher als Holschuld, denn als Bringschuld betrachtet wird. Gründe dafür sind zum einen große Selbstzentriertheit und die mangelnde Fähigkeit, über den Tellerrand hinaus zu blicken und andererseits Machtspiele, die mit Wissen (=Macht) betrieben werden.

Gemeinsam gewinnen

Die klassische Arbeitsteilung hat uns gelehrt, dass jeder für sich dafür sorgen muss, seinen Teil der Arbeit so gut wie möglich zu erledigen. Das hat sogar dazu geführt, dass Erfolge auf Kosten anderer Beteiligter im selben Unternehmen eingefahren wurden, weil der Fokus darauf lag, als Einzelner oder als einzelne Abteilung gut dazustehen. Das genügt nicht mehr. Die im New Work immer wichtigere Wissens- und Schöpfungsarbeit kann nicht im Silo stattfinden. Es geht um vernetzte Prozesse zwischen verschiedenen Abteilungen und Wissensdisziplinen. Das erfordert abgestimmte Ziele und eine abgestimmte Strategie sowie das gegenseitige Vertrauen, gemeinsam über die Ziellinie gehen zu wollen und nicht etwaige Quick-Wins mitzunehmen, um individuell gut dazustehen. Mit zunehmendem Freiraum, der Mitarbeitern gewährt wird sowie reduzierten Hierarchien und Prozessen, gibt es auch immer weniger Vorgaben und Hinweise, wie man es machen muss. Durch mehr Transparenz, mehr  Informationen und Hintergrundwissen, soll jeder Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, selbst die Entscheidungen zu treffen, die den Erfolg des Unternehmens ermöglichen. Das heißt aber auch, dass diese Verantwortung übernommen werden muss. Nicht jeder ist dazu bereit.

Offenheit

Gerade Start-ups, die mit disruptiven Ideen auf den Markt kommen, setzen auf schnelles Lernen. Der Schritt auf den Markt erfolgt nicht erst dann, wenn Perfektion erreicht ist, sondern bereits im Beta-Stadium und dann geht es darum, auf Basis der gemachten Erfahrungen zu optimieren. Im New Work gilt in allen Bereichen vor allem flexibel und offen zu bleiben, um sich auf andere Vorgehensweisen und Ideen einlassen zu können. Wer aktiv den Austausch mit Menschen sucht, die anders sind als er selbst, profitiert durch neue Sicht- und Herangehensweisen. Aus anfänglichen Überraschungsmomenten entwickeln sich nicht selten Chancen, von denen New Work Teams auf für den einzelnen unvorstellbare Weise profitieren können. Ein Abenteuer, das sich lohnt!

Die Idee von New Work ist es auch, die Potenzialentfaltung in die Hände der Mitarbeiter zu legen. Es besteht der Freiraum, sich zu entwickeln, damit aber gleichzeitig die Verpflichtung, für die eigene Entwicklung Verantwortung zu übernehmen und sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Wer diese Reise mit einem neuen Mindset antritt, wird New Work nicht länger als ängstigende Veränderung, sondern als spannende Herausforderung betrachten. Und damit zugleich ein New Life einläuten!

Dem *Mango-Prinzip zugrunde liegt folgende Geschichte:

Gerd besucht einen Stamm in Malawi, Südostafrika. An diesem Tag zeigt er einen Korb voller frischer duftender leuchtender Mangos den Kindern des Stammes, in deren großen Augen man praktisch lesen kann: „Wie komme ich an die Mangos?“ Er stellt den Korb 300 m entfernt unter einen Affenbrotbaum und sagt: „Heute machen wir ein Wettrennen, ich zähle bis drei, dann rennen alle los und wer zuerst beim Korb ist, der gewinnt die Mangos!“ Gerd zählt ein „eins, zwei und drei!“ Doch die Kinder laufen zu seiner Überraschung nicht sofort los. Sie schauen sich in die Augen, fassen sich an den Händen und spurten erst dann los. Kurz vor dem Korb bleiben sie noch einmal stehen, vergewissern sich, dass sie gleichauf sind und gehen dann absolut gleichzeitig über die Ziellinie. Die Kinder jubeln und beratschlagen, was sie mit den Mangos machen, damit alle etwas davon bekommen.


* Ulrike Stahl lebt und lehrt als Unternehmerin, Coach und Trainerin Kooperation und Zusammenarbeit seit mehr als 15 Jahren. Über 2000 DAX-Unternehmen und Mittelständler weltweit hat sie bei der Vernetzung und dem Geschäftsaufbau unterstützt und dabei die Kerndimensionen kooperativen Verhaltens erforscht. Als Professional Speaker denkt und vermittelt sie das Thema Kooperation mit dem Mango-Prinzip inspirierend anders. Ihr Credo: „Kooperatives Verhalten ist kein netter Softskill, sondern das berufliche Überlebenshandwerkszeug.“ www.ulrike-stahl.com