Karl Ludwig Schweisfurth: Schwein gehabt!
Karl Ludwig Schweisfurth war einer der größten industriellen Wurstfabrikanten Europas. Er verkaufte seine Firma an Nestlè, weil er die Massentierhaltung nicht mehr vertreten konnte, fing neu an und produziert heute nach ökologischen Kriterien. Ein Interview von Elita Wiegand.
Sie kommen aus einer Metzgerfamilie und haben den ehemaligen Handwerksbetrieb Ihres Großvaters zum größten Wurstkonzern Europas ausgebaut. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Zeit?
Karl Ludwig Schweisfurth: Als ich 25 Jahre alt war, bin ich nach Amerika geflogen und dieses Land hat mich damals infiziert. Die amerikanische Fleischindustrie arbeitete effizient und erwirtschaftete hohe Erträge. Die Fließbänder und Automaten haben mich beeindruckt und nach meiner Rückkehr habe ich meinen Vater davon überzeugt, dass wir unseren Handwerksbetrieb in einen Industriebetrieb umwandeln.
Damals haben Sie 1 Milliarde Mark umgesetzt und hatten 5.500 Mitarbeiter. Herta galt als ein Unternehmen, das durch technische Innovationen immer an der Spitze stand. War das Ihr Antrieb damals?
Karl Ludwig Schweisfurth: Ja, mich hat die Technik fasziniert. Immer, wenn etwas Neues auf dem Markt kam, haben wir es sofort angeschafft und jede innovative Maschine, die irgendwo auf der Welt produziert wurde, stand als Erstes bei Herta. Wir waren Pioniere, egal, ob es um die elektronische Datenverarbeitung ging oder um neuartige Verpackungen für Fleisch, Wurst oder Schinken – Herta stand immer an der Spitze der Entwicklungen und wir waren dadurch auch immer einen Schritt voraus.
„Herta, wenn’s um die Wurst geht“. Das war Ihr Slogan und Sie galten als der Herrscher des Wurstimperiums. Vor 25 Jahren kam die große Wende in Ihrem Leben und Sie haben Ihr Unternehmen von heute auf morgen an Nestlé verkauft. Was ist passiert?
Karl Ludwig Schweisfurth: In meiner Firma wurden damals 25.000 Schweine und 4.000 Rinder pro Woche geschlachtet. Ich habe mir irgendwann angesehen, wo die Tiere herkommen, habe mir die unwürdigen Ställe angeschaut. 5000 Tiere in einem Stall, die auf Spaltenböden dahinvegetierten, stickige Luft, dunkel, laut. Tiere, die wie technische Güter produziert und industriell getötet wurden. Furchtbar! Mir wurde schlagartig bewusst, dass die Würde und der Respekt vor Tieren verloren geht und damals fragte ich mich: „Was tue ich denn da eigentlich?“
Meine Kinder haben damals gebohrt, indem sie mir immer die gleichen Fragen stellten und mir den Unsinn meines Lebens aufzeigten. Stress, Hektik, vom Auto ins Flugzeug, um irgendwo auf der Welt die nächste Fabrik zu eröffnen, immer schneller, mehr Umsatz, höhere Renditen, noch billigeres Fleisch, um die Mitbewerber abzuhängen. Meine Kinder haben mir klar gesagt: “Papa, so wollen wir nicht leben!” Sie hatten Recht, zumal ich wusste, dass es den Tieren in dieser furchtbaren Massenproduktion immer schlechter geht, das Fleisch immer wässriger wurde und überhaupt nicht mehr schmeckte und das eigentliche Handwerk auf der Strecke blieb.
Als ich 54 Jahre alt war, hat es dann Klick gemacht. Während des jährlichen Fastens, wo man ja nicht nur den Bauch leer macht, sondern auch den Kopf, war mir ganz klar, dass ich noch mal neu anfangen muss. Von heute auf morgen habe ich Herta im Jahre 1984 an Nestlé verkauft und es ist viel, viel Geld in die Schweisfurth Stiftung geflossen und ich habe mit ökologischer Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung einen Neustart gewagt. Seitdem sind meine Gedanken und mein Tun davon geprägt, dass mein Leben und meine Arbeit im Einklang mit der Natur stehen.
Nach Ihrem Ausstieg haben Sie die Hermannsdorfer Landwerkstätten gegründet. Was muss man sich darunter vorstellen?
Karl Ludwig Schweisfurth: Mit den Herrmannsdorfer Landwerkstätten haben wir Pionierarbeit geleistet und heute sind wir Leitbild. Damals wurde ich jedoch als Spinner abgestempelt und für verrückt erklärt. Dann kam Anfang der 90er Jahre die erste BSE Krise und da änderte sich die Einstellung. Die Menschen hatten Angst und das bewirkte ein kleines Umdenken und mehr ökologisches Bewusstsein auch für unsere Arbeit. Immer mehr Menschen fragen sich heute, wo unser Fleisch herkommt und wie die Tiere getötet werden. Viele wissen doch, wie schrecklich die Tötungsmaschinen für die Tiere sind und jetzt wird endlich auch über das Tabu geredet. So steigt auch das Interesse für die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, wo wir natürliche, ökologische und nachhaltige Lebensmittel herstellen. Bei uns gibt es Stallungen, eine Fleischerei, Bäckerei, Molkerei/Käserei, Brauerei, Hofladen, Biergarten und Gasthof und wir bilden junge Menschen aus.
Sie haben sich mit den Herrmannsdorfer Landwerkstätten auch auf die Fahnen geschrieben, Technik und Innovation zu verbinden. Was bedeuten für Sie heute Innovationen?
Karl Ludwig Schweisfurth: Bei Innovationen denken wir immer an technische Innovationen, aber wir brauchen heute viel mehr soziale Innovationen. Wie wollen wir in Zukunft leben? Diesen Fragen müssen wir nachgehen und gemeinsam Lösungen finden. Es geht um ethische Grundwerte. Wie wollen wir miteinander umgehen und wie wollen wir mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren umgehen? Und wir müssen uns die Frage stellen, wie wir künftig unsere kulturellen Innovationen erhalten wollen. Wir haben in Europa ein stolzes Erbe, denn es gibt eine Vielfalt und einen großen Reichtum an Lebensmitteln. Die Vielfalt der Weine, des Brotes, der Schinken, des Käses, das ist in Europa einzigartig. Darauf müssen wir uns verdammt noch mal besinnen, denn unser kulturelles Erbe sind nicht nur das der großen Dichter, Philosophen und Schriftsteller, ein wesentlicher Teil unserer europäischen Kultur beruht auch auf den Lebensmittel-Handwerkern.
Steigende Weltbevölkerung, mehr Fleischkonsum – wo sehen Sie Lösungen für die Zukunft?
Karl Ludwig Schweisfurth: Von der Politik kann man keine Lösungen erwarten. Der Einfluss der Lobbyisten auf die Politik ist zu groß und zu mächtig. Der Wandel kann nur von den Verbrauchern ausgehen. Ich sage immer: ”Nicht jammern, sondern machen!” Jeder muss bei sich selbst anfangen. Wenn wir auf den industriellen Schund im Supermarkt und das billige Fleisch vom Fließband verzichten, ist ein erster Schritt getan. Und: Wir dürfen einfach nicht mehr so viel Fleisch essen, denn in Zukunft werden immer mehr Menschen und immer mehr Tiere die Erde kahl essen und es wird ein Chaos geben. Es sei denn, wir finden vorher Wege aus der Krise, sind einsichtig, gehen mit der Natur achtsam um, essen weniger Fleisch, dafür aber mehr Qualität. Und: Qualität kann man nicht zu Billigpreisen bekommen, also lieber weniger, dafür aber gutes Fleisch essen! Ich bin optimistisch, weil das ökologische Bewusstsein steigt und immer mehr Menschen erkennen, dass wir für die Natur, für unsere Nachkommen und generell für diesen Planeten Verantwortung tragen müssen.
Kontakt:
Herrmannsdorfer Landwerkstätten
Herrmannsdorf 7
85625 Glonn
0049 (0)8093/9094-0
Schweisfurth Stiftung
Kontakt
Werte und Wandel gUG (haftungsbeschränkt)
Elita Wiegand
Grunerstr. 39
40239 Düsseldorf
Fon: +49 151-21229430
Mail: elita@e-lita.de
Facebook
WerteWandel Gruppe
Wir freuen uns auf den virtuellen Austausch mit Ihnen in unserer offenen Facebook-Gruppe