Die Renaissance des ehrbaren Kaufmanns

Ein Interview von Elita Wiegand mit Elisabeth Slapio, Geschäftsführerin der IHK, Köln.

Elisabeth Slapio ist Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer zu Köln und dort verantwortlich für den Bereich Innovation und Umwelt. Die Volljuristin war vor ihrem Wechsel in die Kammerorganisation u.a. als Anwältin tätig. Neben der Betreuung verschiedenen Branchen umfasst das aktuelle Aufgabengebiet u.a. Innovation, Technologie und Hochschulwesen, Energie und Umwelt sowie Electronic Government. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft versteht sie als Chance, Sachverstand und Interessen zu bündeln um diese abwägend und ausgleichend in den wirtschaftspolitischen Willensbildungsprozess einzubringen.

Der Begriff des „Ehrbaren Kaufmanns“ ist bei der IHK verankert und beinhaltet Tugenden wie zum Beispiel Fleiß und Gerechtigkeit, Treue und Ehrlichkeit. Was verbinden Sie damit?

Elisabeth Slapio: Der Ehrbare Kaufmann ist im IHK Gesetz formuliert und für mich ist es ein Sinnbild für das, was wir heutzutage verknüpfen mit „Vertrauen ist der Schlüssel zu allem!“ Es ist ein gelebtes Wertesystem und macht die Komplexität greifbar. Dann ist der ehrbare Kaufmann ein Mensch, der etwas so gut erklärt, dass ich auch komplexe Dinge verstehe. Ich glaube ihm im Wirtschaftsleben, weil ich Vertrauen habe und es ist aber auch die Person, die es schafft, mir eine Qualität zu versichern und ich weiß, dass es stimmt, was er sagt. Es ist ein Mensch, der durch das Vertrauen bei mir eine Basis schafft für die Beziehung im Wirtschaftsleben, aber auch eine Grundlage für Loyalität und Akzeptanz.

Nun scheint es, dass der ehrbare Kaufmann ausstirbt. Es gibt weniger Familien- und inhabergeführte Unternehmen. Und Konzerne geraten durch Korruption, Missmanagement oder ihrer Gier nach Umsatz in der Negativspirale nach unten. Warum hat sich unser Misstrauen verstärkt?

Elisabeth Slapio: Hier ist sicher eine Differenzierung nötig.
Wir alle sehen mit Sorge, dass beispielsweise die von Inhabern geführten Handelsgeschäfte keinen Nachfolger finden. So verliert im täglichen Einkauf das vertraute Stadtbild in vielen Gemeinden an Vielfalt und Lebendigkeit.
Die geschilderte Negativspirale gibt es ohne Zweifel, sie darf aber nicht verallgemeinert werden. Korruption, Missmanagement und Gier waren und sind Erscheinungen, die in der Regel ausgelöst werden durch Fehlverhalten Einzelner oder weniger Personen. Sie können aber eine gesamte Unternehmung oder Branche in Misskredit bringen.
Zugleich merken wir auch, dass der ehrbare Kaufmann derzeit eine Renaissance erlebt, wie zahlreiche Diskussionen, zum Beispiel im Zusammenhang mit CSR Corporate Social Responsibility, belegen. Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten ist ebenso wichtig wie zu wissen, dass man bei dem Aufbau von Vertrauen in Vorleistung treten muss. Vielleicht kann man sagen, dass sich die Bereitschaft zum Vertrauensvorschuss verändert hat. Je stärker das „Ich“ in den Vordergrund tritt, desto mehr tritt das „Wir“ in den Hintergrund. Hinzu kommen unspezifizierte  Ängste vor Globalisierung, Technik und Digitalisierung oder auch die Sorge, dem Veränderungstempo nicht gewachsen zu sein. Dieses kann zu Unsicherheit führen und bewirkt, dass Vertrauen schwindet.

Welche Verbindung besteht zwischen dem „Ehrbaren Kaufmann“ und der IHK heute? 

Elisabeth Slapio: Die Verbindungen sind sehr vielfältig. Das Ursprüngliche aus der Zunft- und Gildenorientierten Zeit ist in die Industrialisierung herübergerettet worden. Die Industrie- und Handelskammern als Interessenvertretung der Wirtschaft haben einen Selbstverwaltungsstatus. Und das bedeutet, dass sich Industrie, Handel und Dienstleistungen durch ein Parlament und Fachgremien der Wirtschaft in einer Region zusammen vertreten. Es ist ähnlich wie in den Zeiten, als der ehrbare Kaufmann noch ein sehr lebendiger Begriff war. Die Kernkompetenz und Aufgabe der Kammern ist, dass sie aus diesem regionalen Wissen um die Unternehmen, es schon „richten“ werden. Die IHK hat in den Gesetzgebungsvorlagen mit Augenmaß, aber auch ausgeglichen zwischen unterschiedlichen Interessen abzuwägen, eine Meinung zu äußern oder eine Stellungnahme zu verfassen. Das sind die Kernthemen, die laut gesetzlicher Situation auch heute noch gültig sind. Die Regionalität war zu Zeiten des „Ehrbaren Kaufmanns“ auch ein Teil des Vertrauens. Man kannte sich, man wusste, mit wem man es tun hat und man kannte Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche. Die Kaufleute fühlten sich verbunden, respektierten sich und hatten zueinander Vertrauen. Heute würden wir sagen, dass das so eine Art „Wirtschafts-Fairplay“ war.

Die Art Wirtschaft „Fairplay“ spielt bei der Globalisierung eine untergeordnete Rolle. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir Ressourcen verbrauchen und Wertschätzung gegenüber der Natur und der Umwelt bedeutungslos erscheinen.

Elisabeth Slapio: Wenn man den Begriff der Werte spiegelt, erwarten wir im Zwischenmenschlichen zum Beispiel Integrität und Ehrlichkeit, Fleiß, Anstand, Respekt, Verantwortungsbewusstsein, aber auch langfristiges Denken. Diese Tugenden kann man sehr gut auf andere Bereiche erweitern. Die Frage, wie vereinbaren wir Ökonomie mit der Ökologie hat ja leider in vielen Fällen zu einer polemischen Diskussion geführt. Wenn man sich aber damit sachlich auseinandersetzt, so stellt man fest, dass sich diese althergebrachten Tugenden auch in neuem Begriffskontext bewähren können. Das inflationär verwendete Wort „Nachhaltigkeit“ kann am Beispiel der Forstwirtschaft auch über einen im übertragenden Sinne ehrlichen Umgang mit der Ressource Baum definiert werden. So wurde erstmals in der Forstwirtschaft definiert, dass Nachhaltigkeit bedeutet, nicht mehr vom Rohstoff Holz zu verwenden, als auch im gleichen Maße neu angepflanzt wird. Sorgfältiger Umgang mit Rohstoffen, Achtsamkeit bei Verarbeitung natürlicher Ressourcen und die Fragestellung, welche Auswirkungen hat mein Handeln, müssen sich Wirtschaft und Zivilgesellschaft im verstärktem Maße stellen. Was verträgt unser Planet? Wie wollen wir ihn den künftigen Generationen hinterlassen? Der Umgang mit Ressourcen ist auch eine Frage des Verstehens. Und globale Wirtschaftstätigkeit bedeutet, die Zusammenhänge über den eigenen Horizont hinaus weltumspannend zu beobachten.

Der „Ehrbare Kaufmann“ mit den Tugenden mag für viele heute altmodisch klingen. Doch wie bringen wir Werte zurück in die Gesellschaft und wie vermitteln wir es Jugendlichen?

Elisabeth Slapio: Altmodisch klingt der Begriff, obwohl er schon fast wieder „modern“ ist. Tatsächlich klingt es für den ein oder anderen so, als wenn der „Ehrbare Kaufmann“ nur aus der Vergangenheit kommt. Das hängt damit zusammen, dass diese Wortwahl kaum noch in Gebrauch ist. Junge Menschen sprechen heute anders miteinander, treffen sich in sozialen Netzwerken und gehen anders, aber dennoch vertrauensvoll miteinander um. Meine Ansicht ist, dass wir Jugendliche unterschätzen, denn auch sie sprechen über Loyalität oder Rechtstreue. Sie finden es cool, dass man früher per Handschlag ein Geschäft machte. Wenn man hingegen heute einen ganz normalen Prepaid Handyvertrag macht, bekommt man AGB’s die mehrere Seiten umfassen, oder man muss unendlich lange Vertragsanhänge scrollen. Wir sollten uns nicht daran aufhalten, ob die Thematik altmodisch ist, sondern die Werte vermitteln, die damit verbunden sind. Nur so können wir zeigen, dass die Tugenden des „Ehrbaren Kaufmanns“ für die Wirtschaft und auch für die Gesellschaft wichtiger denn je sind.