Stefan-Brunnhuber

Das Neue entsteht im Denken – Interview mit Prof. Stefan Brunnhuber

Die Kunst der Transformation – Wie wir lernen die Welt zu verändern.“ So der Titel des Buches von Prof. Stefan Brunnhuber. Darin analysiert er erstmals, welche (sozial-)psychologischen Mechanismen diese Transformation verhindern und welche sie fördern – und zeigt neue Wege auf, wie wir unsere Gesellschaft wirklich verändern können.

Prof. Stefan Brunnhuber ist Ökonom und Psychiater, Mitglied des Club of Rome und Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaften sowie ärztlicher Direktor der Diakonie-Klinik für Integrative Psychiatrie in Sachsen. www.stefan-brunnhuber.de

Elita Wiegand interviewte Prof. Stefan Brunnhuber zu der Kunst der Transformation.

Wir kennen die Gefahren des Klimawandels, wissen, dass wir die globale Erwärmung durch das Zwei-Grad-Ziel begrenzen müssen. Trotzdem sind wir, wie es scheint, veränderungsresistent. Wie beschäftigen Sie sich als Arzt und Psychologe mit dem Wandel?

Stefan Brunnhuber: Mein Buch „Die Kunst der Transformation“ zeigt, dass wir einen großen Bereich der Nachhaltigkeitsdiskussion völlig ausgeblendet haben, nie richtig systematisch aufgearbeitet und schon gar nicht in den gesellschaftspolitischen Diskurs integriert haben. Das sind die Ergebnisse der Lebenswissenschaften wie Psychologie, Medizin, Sozialpsychologie, Neurobiologie und Verhaltensforschung. Als Arzt und Psychiater war es für mich deshalb befremdlich, feststellen zu müssen, dass sich die Nachhaltigkeitsdebatte um die immer gleichen Argumente dreht: Wachstum, Technologien, Bevölkerungspolitik und „Good Governance“. Wenn es uns gelänge, die richtigen Gesetze und Regeln aufzustellen, können wir die Transformation schaffen. In meinem Buch geht es um die Art und Weise, wie sich Menschen verhalten und welche Entscheidungen sie treffen. Wir werden nur dann nachhaltig zusammenleben können, wenn wir anfangen die psychologischen Realitäten anzuerkennen, die uns alle ständig antreiben und umgeben.

Warum verdrängen wir die Realität?

Stefan Brunnhuber: Wenn wir die Fakten in unserer Gesellschaft betrachten, ist die Realität für uns nahezu unerträglich. Klimawandel und damit verbunden die Verschwendung der Ressourcen, Finanzkrisen oder Kinderarbeit – das innere Bild, was wir von der Wirklichkeit haben und die reale Welt fallen immer weiter auseinander. Um die Unsicherheiten, unbequemen Wahrheiten und Widersprüche auszuhalten, erzählen wir Geschichten, die unser Gewissen beruhigen. „Vielleicht ist es doch alles nicht so schlimm.“ „Die Statistik ist gefälscht.“ Oder: „Mal sehen, was die anderen so machen“. Damit wird das aktuelle Verhalten bestätigt, aber nicht verändert. Aus der Psychologie ist die kognitive Dissonanz bekannt. Die Geschichten handeln dann vom Fortschritt und Wachstum, von der Umverteilung, von erneuerbaren Energien. Diese Geschichten sind durch das westliche Wohlstandmodell geprägt, das die mediale und parteipolitische Aufmerksamkeit tagtäglich bestimmt.

Die Wirtschaft und Politik klammern sich an das Wohlstandsmodell: Mehr Umsatz, mehr Gewinn, mehr Wachstum! Ein Kapitel Ihres Buches trägt die Überschrift „Das Mantra des immerwährenden Wachstums“ – was genau meinen Sie damit?

Stefan Brunnhuber: Jedem ist klar, dass unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist. Doch es wird immer wieder das Substituts-Argument vorgebracht. Demnach würde zusätzliches Wachstum über eine gesteigerte Produktivität neue Technologien ermöglichen, die effizienter sind und damit den Spielraum des Klimawandels hinauszögern. Das ist aber eine Illusion. Psychologen nennen es eine Wachstums-Illusion. Die zwei Prozent Wachstum in den OECD Ländern sind in den absoluten Zahlen mehr, als wir in den 50er und 60er Jahren gewachsen sind, als es acht bis zehn Prozent waren. Wir wachsen exponentiell. Die Bezugsgröße bezieht sich ja immer auf das jeweilige Vorjahr. In diesem expansiven Wachstumsprozess werden immer mehr Wertschöpfungsketten generiert, die wir eigentlich gar nicht wollen, die wir aber unterhalten müssen, um das Wachstum überhaupt aufrecht zu halten.

Nun sind die Grenzen des Wachstums seit der Veröffentlichung der Studie im Jahre 1972 bekannt. Welche grundsätzlichen Veränderungen haben sich seitdem ergeben?

Stefan Brunnhuber: Wir leben im Zeitalter des Menschen. Im Jahre 2000 hat der niederländische Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen den Begriff Antropozän geprägt. Das bedeutet, dass wir erstmals in einer Epoche der Weltgeschichte leben, in dem der Mensch als Spezies die geologischen Zusammenhänge für die Zukunft kausal bestimmt. Die Wissenschaft hat mittlerweile neun solcher Grenzen aufgezeigt, innerhalb derer wir uns eigentlich ökologisch und geoökologisch bewegen müssten, um innerhalb des Nachhaltigkeitskorridors zu bleiben. Drei von neun haben wir bereits überschritten und es ist relativ unrealistisch, dass wir mit einem expansiven Wachstumspfad innerhalb des Korridors bleiben. Betrachtet man die internationalen Zahlen hinsichtlich der CO2 Belastungen bis ins Jahr 2050, müssten wir als Weltgemeinschaft diese Belastung um 50 Prozent bis ins Jahr 2050 senken. Wenn wir aber gleichzeitig bedenken, dass sich in den nächsten Jahren die globale Mittelschicht verdreifachen wird, ist das völlig abenteuerlich. Keine mir bekannte Publikation kann schlüssig darstellen, wie das alles lebenspraktisch und gesellschaftspolitisch umgesetzt werden soll.

Das Wachstumsmodell impliziert, dass Menschen in einem ständigen Wettbewerb konkurrieren, gierig sind und noch mehr haben wollen. Andererseits wissen wir, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wie ist der Widerspruch zu erklären?

Stefan Brunnhuber: Wir sind soziale Wesen und haben das Bedürfnis, zu kooperieren und die Fähigkeit zum gegenseitigen Verstehen und zur Solidarität. Zum Beispiel engagiert sich in Deutschland ein Drittel der Bevölkerung ehrenamtlich. Erst wenn die Integrität des Einzelnen oder basale Bedürfnisse in Gefahr geraten, werden Wettbewerbsverhalten und Ausgrenzungsstrategien mobilisiert. Wenn in der Gesellschaft also das Einkommen und das Vermögen ungerecht verteilt ist und die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, verweigern wir die Zusammenarbeit. Eine Verteilung, die außerhalb von 80:20 oder 70:30 liegt, ist gesellschaftlich problematisch.

Nun hoffen viele, dass wir die Probleme mit neuen Technologien lösen. Warum bestimmen auch diese Argumente die Nachhaltigkeitsdebatte?

Stefan Brunnhuber: Politiker und Ingenieurwissenschaften berufen sich gerne auf Technologien und argumentieren: „Wenn wir alternative erneuerbare Energien einsetzen, dann gelingt uns nicht nur die Energiewende, sondern auch ein nachhaltiges Zusammenleben im 21. Jahrhundert.“ Das ist falsch. Es gibt derzeit auf der Welt keine einzige Technologie, die eine C02 Senke darstellt, und selbst Wirtschaftsmodelle wie „Cradle to Cradle“ ignorieren den enormen Energiebedarf, der beim Umbau der Industrie oder der Landnutzung entsteht.

Damit sind wir beim Rebound-Effekt. Der bezeichnet den mengenmäßigen Unterschied zwischen den möglichen Ressourceneinsparungen, die durch bestimmte Effizienzsteigerungen entstehen und den tatsächlichen Einsparungen. Wie sieht es damit aus?

Stefan Brunnhuber: Immer dann, wenn neue Technologien auf dem Markt erscheinen, die effizienter sind, wie zum Beispiel ein Drei-Liter Auto gegenüber einem Sechs -Liter Auto, passiert Folgendes: Wir verwenden das ersparte Geld nicht etwa dazu, nachhaltiger zu leben, sondern in der Regel fahren wir dann mehr Auto und steigern die Mobilität. Solche Rebound-Effekte sind empirisch gut untersucht. Es gibt systematisch ungefähr sechs verschiedenen Rebound-Effekte. Im Extremfall können diese sogar so weit führen, dass der Rebound die Einspareffekte, die durch erneuerbare Technologien in den Prozess implementiert werden, übersteigt.

Die Kunst der Transformation

Und wie sähe eine Nachhaltigkeit aus, die in Ihrem Sinne psychologisch geprägt ist?

Stefan Brunnhuber: Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur über 100 Definitionen für Nachhaltigkeit. Ich bin vor einigen Wochen gefragt worden, was meine Definition und mein Verständnis sei. Nachhaltigkeit im Zeitalter des Menschen heißt, ein bewusstes Leben innerhalb von äußeren und inneren Grenzen zu führen. Äußere Grenzen sind uns durch planetarische Grenzen wissenschaftlich vorgegeben und da gibt es einen hohen robusten Konsens. Die inneren Grenzen sind uns gegeben, durch die Art und Weise wie wir denken, wie wir wahrnehmen und welche Entscheidungen wir treffen. Die Lebenswissenschaften können an der Stelle einen immensen Beitrag leisten durch besseres Verständnis unserer gedanklichen Abläufe. Es geht um die inneren Grenzen des Denkens, um unser Bewusstsein und das, was uns wichtig ist. Ich habe im Buch die Unterscheidung gemacht, zwischen expansivem Wachstum auf der einen Seite und den qualitativen, intensiven Entwicklungen auf der anderen.

Was sagen Sie denjenigen, die nicht verzichten wollen?

Stefan Brunnhuber: Ich bin mir nicht sicher, ob Verzicht der richtige Begriff ist, gleichwohl muss ich zugestehen, dass ich auch noch keinen besseren habe. Dennoch geht es um die Frage: Könnte es sein, dass unser Gehirn, unsere Neurobiologie, unser Geist eigentlich mit Grenzen, mit Endlichkeit, mit weniger, viel besser umgehen kann? Könnte es nicht sogar sein, dass weniger mehr ist? Wir kennen aus der Psychologie viele Experimente, die zeigen, dass Menschen vor unendlich vielen Produkten im Supermarkt stehen, am Schluss aber keine Entscheidung treffen, weil die Auswahl zu groß ist.

Schaffen wir die Transformation? Wie optimistisch sind Sie?

Stefan Brunnhuber: Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, geht es um sehr viel mehr: Um soziale und spirituelle Dimensionen. Nachhaltigkeit ohne Veränderung im Bewusstsein und damit eine Veränderung der Entscheidungen und des Denkens wird nicht möglich sein. Die Idee der Standardargumente, wir wachsen und verteilen um und implementieren erneuerbare Energien ist uns  sympathisch, weil es auf der Verhaltensebene den Vorteil mit sich bringt, dass sich niemand verändern muss. Ich glaube, dass der Mensch extrem anpassungsfähig, aber träge ist. Doch wir brauchen eine Debatte zur wirklichen Transformation und Veränderung unseres Bewusstseins. Es nützt eben nicht, dass wir einen Veggieburger in recycelbares Papier einpacken und mit einem Elektroauto durch die Gegend fahren. Wir müssen unser Denken ändern, müssen besser verstehen, wie wir lernen, warum wir meditieren sollten, wie wir mit Stress und Unsicherheit umgehen und wie Empathie und Toleranz entstehen. Und wir sollten verstehen lernen, wie und was uns wirklich antreibt, wie wir mit Verlusten und Gewinnen im Leben umgehen, wie unsere Wahrnehmung und unsere Entscheidungsvorgänge organisiert sind und, was noch wichtiger ist, wie wir das Richtige im Falschen tun  können und welche Bedingungen wir für Selbstachtung und Selbstwirksamkeit benötigen. Wir müssen vielmehr wissen, wie wir unser Leben tagtäglich praktisch verändern können.


„Die Kunst der Transformation – Wie wir lernen, die Welt zu verändern“. Weitere Infos zu dem Buch – hier…