Wozu noch Projektleiter?

Der Aufstieg agiler Methoden verlangt neue Rollen und Verantwortlichkeiten

von Mario Neumann* 

In agilen Frameworks wie Scrum ist die traditionelle Rolle des Projektleiters nicht mehr vorgesehen. Für Unternehmen bedeutet das eine grundlegende Umstellung: Sie müssen klären, welche Aufgaben bisherige Projektmanager künftig in der dynamischen, flexiblen Projektumgebung übernehmen sollen. Dabei geht es darum, Verantwortlichkeiten neu zu verteilen und Rollen so anzupassen, dass agile Teams effektiv arbeiten können.

Karin T. arbeitet seit 20 Jahren als klassische Projektleiterin in der IT-Branche. Nun übernimmt sie die Leitung eines Software-Entwicklungsprojekts, bei dem nach Scrum gearbeitet werden soll. Schnell merkt sie, dass ihre gewohnte Herangehensweise an Grenzen stößt. Ihr bisheriger Führungsstil, der auf klare Anweisungen setzt, funktioniert in einem agilen Umfeld nicht mehr. Statt Unterstützung erfährt sie Widerstand: Das Team möchte mehr Freiraum und keine Führungskraft, die kontrolliert und Vorschriften durchsetzt. Mit ihrer Art eckt sie immer wieder an; ihre bisherigen Methoden führen zu Konflikten. Karin T. muss lernen, ihren Ansatz neu zu überdenken.

Seit etwa 15 Jahren gewinnen agile Methoden im Projektmanagement zunehmend an Bedeutung. Insbesondere in der Softwareentwicklung sind sie längst Standard, wo nachweislich Erfolge erzielt werden. Die Prinzipien von Ansätzen wie Scrum werden immer häufiger auch auf technische Entwicklungsprojekte sowie auf Organisations- und Veränderungsprozesse angewandt – gleichfalls mit positiven Ergebnissen.

Dennoch ist in den Beschreibungen dieser agilen Vorgehensmodelle die Rolle des Projektleiters kaum zu finden. Das wirft die Frage auf: Brauchen agile Projekte überhaupt noch ein klassisches Projektmanagement? Viele Projektleiter, wie Katrin T., stellen sich bei ihrer ersten Erfahrung mit einem Scrum-Projekt die Frage: „Bin ich jetzt überflüssig? “ Die gute Nachricht lautet: Nein, der Projektleiter wird nicht obsolet. Seine Rolle wandelt sich vielmehr grundlegend. Projektleiter bleiben unverzichtbar, müssen sich aber an die neuen Anforderungen anpassen und ihre Aufgaben neu definieren.

Das alte Bild der Projektleitung – Zeit für eine Neuausrichtung

In technischen Projekten ist der klassische Projektleiter meist die Person mit dem größten fachlichen Know-how und umfassender Erfahrung im Team. In Scrum übernimmt diese Rolle jedoch der Product Owner, der für die Produktvision und -priorisierung verantwortlich ist. Das hat zur Folge, dass Projektleiter oft auf die Rolle des Scrum Masters ausweichen. „Master“ hört sich ja auch irgendwie an wie der „Herr im Haus“.

Der Begriff „Master“ klingt zwar autoritär, doch ein Scrum Master verfolgt ein ganz anderes Führungsverständnis: Er ist eine dienende Führungskraft, die das Team unterstützt und fördert. Wer diesen Rollenwechsel nicht vollzieht und weiterhin als Befehlshaber agiert, gefährdet die agile Zusammenarbeit und den Erfolg des Projekts. Agile Methoden setzen voraus, dass Mitarbeitende motiviert sind, kreativ und eigenverantwortlich zu arbeiten. Mit Druck lässt sich das kaum erreichen; vielmehr braucht es Vertrauen und Kooperation. Das bedeutet auch: Das traditionelle Selbstverständnis von Projektleitung wird in agilen Projekten grundsätzlich hinterfragt und neu definiert.

Ein Projektleiter ist kein Scrum Master

In agilen Projekten übernimmt der Scrum Master vor allem die Rolle, das Team bei der Umsetzung der agilen Prinzipien zu unterstützen und Hindernisse in den Arbeitsabläufen zu beseitigen. Er fördert die Selbstorganisation, sorgt für die Einhaltung agiler Prozesse und schafft eine produktive Arbeitsumgebung. Dennoch bleibt die Funktion eines Projektleiters auch in diesem Kontext essenziell, um eine klare strategische Ausrichtung sicherzustellen, Ressourcen effizient zu planen und das Stakeholder-Management zu koordinieren. Während der Scrum Master sich vor allem auf die interne Teamarbeit konzentriert, übernimmt der Projektleiter eine übergeordnete Perspektive, die das gesamte Projekt im Blick behält.

Der Projektleiter sorgt für die Abstimmung mit externen Partnern, verwaltet Budgets und Termine und stellt sicher, dass das Projekt im Einklang mit den Unternehmenszielen steht. Zudem bringt der Projektleiter Erfahrung aus klassischen Projektmanagement-Methoden mit, was insbesondere bei groß angelegten Vorhaben von Vorteil ist. Die Existenz beider Rollen schafft eine Balance zwischen Flexibilität und Kontrolle: Der Scrum Master fördert Eigenverantwortung und Innovation im Team, während der Projektleiter strategische Entscheidungen trifft und den Rahmen für den Projekterfolg setzt. Damit zeigt sich, dass klassische Anforderungen an die Projektleitung auch in agilen Umgebungen notwendig bleiben, um den Erfolg langfristig zu sichern.

Neue Maßstäbe für eine erfolgreiche Zusammenarbeit

Das Führungsverständnis eines Projektleiters verändert sich in der agilen Arbeitswelt grundlegend. Anstelle traditioneller Methoden der Führung und Kontrolle stehen heute Moderation, Unterstützung und die Schaffung optimaler Arbeitsbedingungen für das Projektteam im Fokus. Der agile Projektleiter fördert die Selbstorganisation des Teams, ermutigt die Mitglieder, Verantwortung zu übernehmen und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Damit sind agile Projektleiter keine klassischen Manager mehr, die primär Ergebnisse liefern und Pläne strikt umsetzen sollen. Stattdessen liegt ihr Schwerpunkt auf dem Aufbau eines funktionierenden Teams sowie der kontinuierlichen Verbesserung von Arbeitsprozessen.

Die neue Rolle der Projektleitung Rolle ähnelt eher der eines Dienstleisters: Sie unterstützen das Team bei der Zielerreichung, sorgen für einen reibungslosen Ablauf und schaffen eine produktive Arbeitsumgebung. Dazu gehört auch, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, klare Regeln aufzustellen und das Team vor äußeren Störungen zu schützen. Ziel ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem Innovation, Eigenverantwortung und Zusammenarbeit gedeihen können – zentrale Prinzipien agiler Arbeitsweisen. Durch diese neue Herangehensweise wird die Rolle des Projektleiters deutlich weniger kontrollierend und mehr unterstützend, um die Potenziale des Teams optimal zu entfalten.

Die positiven Aspekte der neuen Verantwortlichkeiten

Die neue Rolle des Projektleiters in einer agilen Welt eröffnet zahlreiche Chancen und Vorteile. Durch die Förderung von Selbstorganisation und Eigenverantwortung steigt nachweislich die Motivation der Teammitglieder, da sie aktiv an Entscheidungen beteiligt sind und ihre Stärken einbringen können. Dies führt zu höherer Arbeitszufriedenheit und Engagement.

Die agile Herangehensweise ermöglicht zudem eine schnellere Reaktion auf Veränderungen, da Teams flexibel auf neue Anforderungen reagieren und kontinuierlich Anpassungen vornehmen können. Agile Methoden fördern eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Teammitgliedern, Stakeholdern und Kunden, was eine offene Kommunikationskultur schafft. In einem solchen Umfeld können innovative Ideen schneller entwickelt und umgesetzt werden. Insgesamt trägt dieses neue Rollenverständnis dazu bei, Projekte effizienter, flexibler und innovativer zu gestalten.

Was die agile Welt an Fähigkeiten und Einstellungen fordert

Für eine erfolgreiche agile Projektleitung sind vielfältige Kompetenzen erforderlich. Zunächst sind fundierte Kenntnisse in agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder SAFe notwendig, um Prozesse effizient zu steuern und Teams bei der Umsetzung zu unterstützen. Während diese Methoden im klassischen Projektmanagement ebenfalls bekannt sind, erfordert die agile Welt mehr: Der Projektleiter muss nicht nur die Methoden beherrschen, sondern auch als Coach agieren und die Teammitglieder befähigen, eigenverantwortlich nach diesen Prinzipien zu arbeiten.

Neben fachlichem Know-how spielen soziale Kompetenzen eine zentrale Rolle. Besonders Empathie ist gefragt, da es darum geht, die Bedürfnisse der Teammitglieder und Stakeholder zu verstehen, Konflikte frühzeitig zu erkennen und konstruktiv zu lösen. Moderationsfähigkeiten sind ebenso essenziell, um Diskussionen zu lenken, Konsens zu fördern und eine offene Kommunikationskultur zu etablieren.

Im klassischen Projektmanagement liegt der Fokus auf Führungskompetenzen gegenüber den Projektbeteiligten; in der agilen Umgebung verschiebt sich der Schwerpunkt hin zum Coaching. Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage für selbstorganisierte und motivierte Teams. Durch gezieltes Coaching kann der Projektleiter individuelle Stärken fördern, Vertrauen aufbauen und die Eigenverantwortung der Teammitglieder stärken – eine der größten Herausforderungen, aber auch eine der wichtigsten Veränderungen für Projektleiter. Leider werden diese Kompetenzen in vielen Ausbildungen für agile Projektleiter kaum berücksichtigt. Dabei sind sie entscheidend, um Teams zur eigenständigen Lösungssuche und innovativen Umsetzung zu befähigen. Nur so bleibt der Projektleiter ein zentraler Erfolgsfaktor in agilen Projekten.

Fazit

Der Wandel des Projektmanagements durch agile Methoden führt zu einer grundlegenden Veränderung der Rolle der Projektleiter. Statt traditioneller Steuerung und Kontrolle stehen Flexibilität, Zusammenarbeit und kontinuierliche Anpassung im Mittelpunkt. Die Aufgaben der Projektleitung erweitern sich von reinen Koordinatoren hin zu Coaches, die ihre Teams bei der Selbstorganisation unterstützen.