Wertewandel in der Schule

Werte halten Einzug in die Schule. Der Wertewandel beruht auf einer Initiative von Alexander Böhle. Er will den Selbstwert der Schülerinnen und Schüler stärken und setzt dazu eine simple Methode ein. Was steckt dahinter? Ein Interview von Elita Wiegand.

Alexander Böhle ist ein engagierter Berufsschullehrer am Dortmunder Karl-Schiller-Berufskolleg, der will, dass Schülerinnen und Schüler Werte erfahren. Warum ist das notwendig?

Alexander Böhle: In Schulen regiert immer noch zu oft der Rotstift bei Klausuren und in der Hauptsache werden Fehler kritisiert. Somit legen wir das Augenmerk darauf, was die Schülerinnen und Schüler nicht können und tadeln Nichtwissen und schlechtes Verhalten. Viel zu häufig wird destruktiv kritisiert. Von Lehrern und unter Schülern. Das Selbstwertgefühl sinkt. Eine Ellbogenmentalität, Neid und Mobbing sind die Folge. Die Schüler verschließen sich. Wir sind also defizitorientiert. Kritik allein bewirkt allerdings nicht, dass sich Menschen zum Positiven verändern! Um den Willen zur positiven Veränderung aus sich selbst heraus anzuregen, muss ich es als Lehrer schaffen, dass mir die Schüler vertrauen und ich sie aus diesem Vertrauen heraus zur Veränderung ermutige. Das erreiche ich unter anderem durch Wertschätzung. Wertschätzung gegenüber der Person an sich, durch konstruktives Feedback oder auch unter Herausstellung seiner oder ihrer positiven Eigenschaften. Wir Lehrer sind dafür verantwortlich.

Früher gab es für die Soft Skills die sogenannte „Kopfnoten”, die in vielen Bundesländern inzwischen abgeschafft sind. Wie stehen Sie dazu?

Alexander Böhle: Die Kopfnote basierte auf einem System, bei dem die Messgrößen fehlen. Man kann eine Persönlichkeit unmöglich in die Noten 1 bis 6 pressen und das Verhalten bewerten. Für die Lehrerinnen und Lehrer waren die Kopfnoten zudem mit einem hohen Aufwand verbunden. Daher tendierten einige Schulen damals teilweise sogar dazu, die Note 2 als Einheitsnote zu verteilen und nur noch in absoluten Ausnahmefällen davon abzuweichen.

Nun haben Sie eine sehr viel bessere Idee entwickelt, um Stärken zu stärken und nennen es „Wertschätzungsbasiertes Persönlichkeitsbild”, kurz „WePebi”. Was muss man sich darunter vorstellen?”

Alexander Böhle: Das „Wertschätzungsbasierte Persönlichkeitsbild” dient dazu, dass Schüler und Lehrer am Ende eines Schuljahres die Möglichkeit erhalten, jeden einzelnen Mitschüler und jede einzelne Mitschülerin wertzuschätzen. Welche positiven Eigenschaften oder Soft Skills haben die einzelnen Personen, die mit mir das ganze Schuljahr verbracht haben? Sich dessen bewusst zu werden und dies dem Anderen mitzuteilen, darum geht es. Die Methode macht Freude und bestärkt die Schülerinnen und Schüler. Hier erteilt auch nicht der Lehrer eine Note, sondern man wertschätzt sich untereinander. Der Lehrer sollte gerne mitmachen! Wir nutzen dazu das Tool „mentimeter.com” und sind live mit dem Smartphone dabei. Jeder kann maximal drei positive Eigenschaften auswählen, wie zum Beispiel: Hilfsbereit, fleißig oder freundlich. Am Ende sehen alle das wertschätzende Persönlichkeitsbild in einer WordCloud. Wird ein Begriff von vielen Schülern genannt, erscheint er umso größer. Dabei ist es kein „Muss”, sondern jeder kann selbst entscheiden, ob er sich beteiligen will. Im Ergebnis bekommen die Schüler also nicht nur ein Fachzeugnis vor den Sommerferien, sondern auch ihr Wertschätzungsbasiertes Persönlichkeitsbild quasi als Kopfnotenersatz. Ergänzt werden sollte die Methode allerdings dennoch durch regelmäßige Entwicklungsgespräche über die Persönlichkeit. Solche Gespräche sind aber bereits schon Bestandteil zahlreicher Schulen.

Beispiel: Wertschätzungsbasierte Persönlichkeitsbild

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Methode?

Alexander Böhle: Es geht darum, die Stärken hervorzuheben und es zeigt dem Schüler: „Hey, ich bin etwas wert!”. Ziel ist, das Selbstwertgefühl zu steigern. Es bietet die Grundlage, junge Menschen zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung anzuregen. Ein zusätzlicher positiver Effekt: Die meisten Schüler sind stolz und zeigen ihren Eltern, Verwandten und Freunden das Ergebnis. Als Berufschullehrer weiß ich aber auch, dass viele Unternehmer in Bewerbungsgesprächen bemängeln, dass sie nicht wissen, wer vor ihnen sitzt. Manager und Unternehmer suchen jedoch händeringend nach „Persönlichkeiten”, nach Machern, die sich in das Team einbringen, motiviert und zuverlässig sind. Es werden Mitarbeiter gesucht, die selbstbewusst auftreten, kreativ sind und sich loyal verhalten. Doch was macht die Schule nach Wegfall der Kopfnoten um das Bedürfnis der Unternehmen diesbezüglich zu stillen? Nichts! Über die Persönlichkeit, also die positiven Eigenschaften des Menschen, der bei der Bewerbung vor ihnen sitzt, erteilt die Schule keine Auskunft. Das wollen wir mit der Methode ändern.

Und wie reagieren die Schülerinnen und Schüler? Welche Erfahrungen haben Sie bislang mit dem „Wertschätzungsbasierten Persönlichkeitsbild” gemacht?

Alexander Böhle: Wir haben die Methode mit etwa 250 Schülerinnen und Schülern im Alter von 16 Jahren aufwärts am Berufskolleg ausprobiert. Die Resonanz war überwältigend! Diejenigen, die von ihren Mitschülern wertgeschätzt worden, waren berührt und vereinzelt flossen sogar Freudentränen. Das Beste aber kam im Nachhinein: Die Klassen beginnen gerade, die Methode aus sich selbst heraus einzufordern! Außerdem wollten viele Schüler danach auch ihre Lehrer wertschätzen! Ich habe Kollegen, die haben voller Freude ihr eigenes WePebi erhalten und mit nach Hause genommen. Das zeigt, wie sehr sich jeder Mensch nach Wertschätzung, Lob und Anerkennung sehnt. Ich finde es besonders wichtig, dass gerade junge Menschen die Erfahrung der gegenseitigen Wertschätzung erleben, um sie später fest in ihr eigenes Leben zu integrieren. Dabei weise ich auf die Korrelation zwischen der Wertschätzung und dem Selbstwertgefühl hin: Das Selbstwertgefühl wird durch Wertschätzung gestärkt. Die Methode könnte auch eine präventive Maßnahme gegen Mobbing sein, denn es hat sich gezeigt, dass Mobbing von denjenigen ausgeht, deren Selbstwertgefühl gering ist.

Alexander Böhle mit dem Unternehmer Bodo Janssen

Nun haben Sie mit dem Unternehmer Bodo Janssen auch schon einen prominenten Unterstützer gefunden und wollen, dass sich die Methode weiterverbreitet. Was wünschen Sie sich konkret?

Alexander Böhle: Ja, Bodo Janssen, einer der Top-Arbeitgeber im Mittelstand mit seiner Hotelgruppe Upstalsboom ist von dem Konzept des „Wertschätzungsbasierten Persönlichkeitsbildes” begeistert und will uns unterstützen. Ich habe aber auch schon einige Kolleginnen und Kollegen mit ins Boot geholt und darf die Methode auf dem Deutschen Schulleiterkongress 2019 in Düsseldorf vorstellen. Auch eine Dortmunder Grundschule hat Interesse! Das freut mich natürlich besonders. Es wäre ein großer Wunsch von mir, dass bereits Kinder mit einer Methode wie dem „WePebi” groß werden. Deshalb möchten wir, dass auch in vielen anderen Schulen Wertschätzung einen noch höheren Stellenwert erlangt. Wir erhoffen uns von den Medien, aber auch von der Politik weitere Unterstützung und würden uns über Kontakte, Mundpropaganda und eine Verbreitung der Methode riesig freuen.