Teamwork und das neue WIR
Fokus, Prozess, Klima und Flow – die vier Faktoren einer erfolgreichen Zusammenarbeit in agilen Zeiten
von Ulrike Stahl *
Teamarbeit wird anspruchsvoller. Immer öfter werden Teams aufgaben- und projektbezogen zusammengestellt. Dabei geht es häufig um wichtige und zeitkritische Aufgaben, wie Produkt- oder Softwareentwicklungen und Systemumstellungen. Weil die Aufgaben komplexer werden, werden mehr hochspezialisierte Experten benötigt. Das wiederum führt zu höherer Diversität und größeren Teams, deren Mitglieder zum Teil noch nie zusammengearbeitet haben. Um die vielen Spezialisten überhaupt unter einen Hut zu bringen, setzen Unternehmen immer mehr auf virtuelles Teamwork. Der Ergebnisdruck ist hoch. Deshalb muss die Vorgehensweise agil entwickelt werden. Was braucht es also, dass diese neue Art der Teamarbeit funktioniert?
Bisher waren wir es gewohnt, in überschaubaren Teams zu arbeiten, die lange beständig bleiben und in denen die Teammitglieder Zeit haben, eine Teamkultur zu entwickeln. Weil alle Beteiligten meist über einen ähnlichen Hintergrund verfügten, war das auch nicht so schwierig. Diese gemeinsame Kultur ist auch für die heutigen Teams essentiell. Es ist nur weit herausfordernder, diese neue WIR-Kultur in die Tat umzusetzen. Gelingt es allerdings nicht, ist der Schaden groß.
Die vier Aspekte einer erfolgreichen Teamarbeit
Nehmen wir an, ein Innovationsprozess bringt in einem Unternehmen eine neue Produktidee für digitale Lösungen hervor. Es findet sich ein Sponsor, der das Budget für die Produktentwicklung bereitstellt. Die Maßgabe ist, vor der Konkurrenz auf dem Markt zu sein. Also wird ein Projektverantwortlicher eingesetzt und ein ambitionierter Termin für die Markteinführung festgelegt. Für das Projekt werden die besten Experten weltweit aus den involvierten Bereichen rekrutiert (Prozesse, IT, Finanzen, Marketing, Sales etc.). Ist das nun der beste Weg zum Erfolg oder zum Scheitern? Beides.
Erfolgreiche Teamarbeit zeichnet sich durch vier Aspekte aus:
Fokus: Gemeinsames Ziel und Ergebnisorientierung
Prozess: Arbeitsmethoden und Messkriterien
Flow: Zusammenarbeit und Agilität, sprich Lernen und Weiterentwicklung
Klima: Vertrauen und Zusammenhalt
Üblicherweise bekommen die Aspekte Prozess und Fokus zu Beginn die größte Aufmerksamkeit. Das Budget wird nur bereitgestellt, wenn das Ziel im Vorfeld bereits klar definiert ist. Das Ziel wird in der Regel auch verständlich und klar an die Teammitglieder kommuniziert. Durch den hohen Druck sind sich alle bewusst, bis zu welchem Zeitpunkt das Ziel erreicht sein muss und hochfokussiert, die geforderten Ergebnisse auch zu liefern. Schließlich sind die besten Experten am Start. Geteilte und verstandene Prozesse machen das Team erst arbeitsfähig, also fließt auch hierhin viel Energie.
Da die Experten sich zunächst einmal in ihre Themen vertiefen, spielt der Flow – also die Zusammenarbeit – an dieser Stelle noch nicht die größte Rolle. Informationen fließen, soweit der Prozess das fordert. Dass dabei nicht immer die gesamte Information zur rechten Zeit am rechten Ort ankommt, fällt noch nicht auf.
Das Klima ist von „Swift Trust“ geprägt – einem sogenannten „flüchtigen Vertrauen“. Was ist das? Projektgruppen, die sich neu formen, scheinen unvermittelt vertrauensvoll zusammenarbeiten, obwohl sich die Beteiligten gar nicht kennen. Tatsächlich beruht das weniger auf dem Vertrauen in die anderen, als vielmehr auf dem Bewusstsein, es sich nicht leisten zu können, misstrauisch zu sein. Die Beteiligten wissen: „Wir sitzen alle im selben Boot“ und „Scheitern ist keine Option“. Das gilt vor allem dann, wenn die Gruppe unter Druck steht, erfolgreich zu sein, wie in unserem Beispiel.
Sich vom Swift Trust lieber nicht täuschen lassen
Gerade in zeitkritischen Projekten stürzen sich die Beteiligten sofort auf das, was zu tun und wie es zu bewältigen ist. Weil sich jeder zu Beginn von seiner besten Seite zeigen will, scheint das erfolgsversprechend. Jeder konzentriert sich auf seine Arbeit, also das, was er am besten kann. Das gibt Sicherheit. Smalltalk, Interessen, Bedenken, persönliche Sichtweisen oder Vorlieben auszutauschen wird in dieser auf Effizienz getrimmten Umgebung als Zeitverschwendung betrachtet und deshalb vermieden. Jeder funktioniert eben. Die Gefahr besteht, sich vom „swift trust“ täuschen zu lassen. Er hat nämlich die Eigenschaft, nach einiger Zeit zu verschwinden.
Spätestens wenn es zu Verzögerungen kommt oder sich Misserfolge einstellen, zeigt sich, dass Menschen keine Maschinen sind. Plötzlich kommen Emotionen ins Spiel und leiten unser Verhalten. Interessenskonflikte werden sichtbar, Streitereien über scheinbare Belanglosigkeiten häufen sich, Verhaltensweisen werden negativ bewertet. Dem Projektleiter fällt plötzlich auf, dass einige weniger ergebnisorientiert arbeiten als andere. Hier kommt dann das Thema Persönlichkeit ins Spiel.
Die vier Aspekte, die für erfolgreiche Teamzusammenarbeit verantwortlich sind, finden sich in unterschiedlichen Persönlichkeitstypen auch unterschiedlich gewichtet wieder. Während Fokus- und Flow-orientierte Menschen sehr gut mit Druck, agiler Lösungsentwicklung und der daraus entstehenden Unsicherheit umgehen können, fällt dies Klima- und Prozess-orientierten Menschen schwerer. Der eine beginnt um seinen Job zu bangen, weil er fürchtet, dass ihm Fehler nicht verziehen werden. Der andere wirkt langsam und zögerlich, weil er gerne perfekte Ergebnisse abliefern will. Hinzu kommt, dass über diese Befürchtungen und Befindlichkeiten nicht gesprochen wird, weil es scheint, dass die meist Fokus-orientierte Führungskraft dafür kein Verständnis und keine Zeit hat. Genau diese Mitarbeiter schauen aber auf die Details und Risiken und leisten jene nachhaltige Arbeit, die erfolgsentscheidend sein kann. Die Gefahr wächst, dass die Beteiligten sich nicht mehr voll engagieren, weil sie glauben, keine angemessene Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen oder meinen, keinen guten Job zu machen. Teammitglieder denken darüber nach, sich nach einer neuen Position umzusehen. Wäre das Team wohl erfolgreicher, wenn die Teammitglieder ähnlicher wären?
Wenn Lösungswege verteidigt werden, drohen Sackgassen
Fakt ist: Menschen arbeiten leichter und natürlicher zusammen, wenn sie sich ähnlich sind. In der modernen Arbeitswelt lässt sich Heterogenität aber kaum vermeiden. Unterschiedlichkeiten erwachsen nicht nur aus der Nationalität, sondern auch aus Alter, Bildungsgrad, Expertise und Firmenzugehörigkeit. Hinzu kommt, dass heterogene Teams viel bessere Voraussetzungen haben, wenn es darum geht, komplexe Aufgaben zu bewältigen. Was einerseits Erfolgsgrundlage ist, ist andererseits die größte Stolperfalle. In unserem Beispiel haben wir eine hohe Diversität, zudem müssen Menschen zusammenarbeiten, die sich nur oberflächlich kennen oder/und noch nie gesehen haben. Tatsächlich zeigen Untersuchungen: Je mehr Fremde es im Team gibt und je größer die Diversität ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Teammitglieder ihr Wissen teilen oder sich sonst kollaborativ verhalten. Anstatt Informationen frei fließen zu lassen und gemeinsam aus Fehlern zu lernen, schotten sie sich ab und verteidigen ihren Lösungsweg. Das wiederum führt zu unproduktiven Konflikten und in Sackgassen. Was können Organisation und Führungskräfte tun, um diese wichtigen Teams langfristig arbeitsfähig zu machen?
An erster Stelle eine WIR-Kultur etablieren
Spätestens nach der Anlaufphase müssen die Aspekte Flow und Klima ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Jetzt geht es um Kollaboration statt einfach nur um Arbeitsteilung. Echte Zusammenarbeit ist gekennzeichnet durch eine laufende Interaktion. Durch Teammitglieder, die über ihre eigene Rolle hinausdenken und erfassen, was für die anderen und die gemeinsame Zielerreichung wichtig ist. Gar nicht so einfach, wenn Experten völlig unterschiedlicher Bereiche zusammenwirken. Wird dieser Austausch jedoch gefördert, idealerweise auch hinsichtlich Arbeitspräferenzen und Verhalten, werden Unstimmigkeiten angegangen sowie schwelende Konflikte gelöst, dann kann echtes Vertrauen und Zusammenhalt entstehen. Oder kurz gesagt: eine WIR-Kultur.
Das fordert von Führungskräften, sowohl aufgaben- als auch menschenorientiert führen zu können. Zu Beginn eines kritischen Projektes bedarf es starker aufgabenbezogener Fähigkeiten. Wenn das Projekt Fahrt aufnimmt, sind mehr menschenbezogene Fähigkeiten gefragt. Dazu gehört die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen, Konflikte wahrzunehmen und zu lösen, unterschiedliche Arbeitspräferenzen und Bedürfnisse zu erkennen und wertzuschätzen.
Untersuchungen zeigen zudem, dass Mitarbeiter in Unternehmen, deren Führungskräfte kollaboratives Verhalten vorleben, in diversen Teams besser zusammenarbeiten. Führungskräfte haben Vorbildwirkung und müssen das Verhalten, das sie von ihren Mitarbeitern erwarten, vorleben. Ist sichtbar, dass sich die Führungskräfte gegenseitig unterstützen oder herrscht Silo-Denken? Pflegen die Führungskräfte eine Geberhaltung, das heißt, treten sie als Mentoren und Unterstützer auf und helfen ihren Mitarbeitern dabei, Netzwerke über die Organisationsgrenzen hinweg aufzubauen? Oder treten sie als Nehmer auf und fördern Guerillakämpfe zwischen den Abteilungen?
Unbedingt über Differenzen sprechen
In unserem Beispiel ist es dringend nötig, über die Differenzen zu sprechen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die Beteiligten sind wie blockiert und schaffen es alleine nicht. Sie vertrauen nicht mehr darauf, dass die anderen Beteiligten weiterhin das gemeinsame Ziel anstreben. Sie fragen sich vielleicht selbst, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringen und für sich individuell retten, was noch zu retten ist. Geht die Führungskraft diese Situation nicht an, nötigenfalls mit externer Hilfe, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt scheitert oder zumindest nicht so erfolgreich ist, wie es bei gutem Klima und echter Kollaboration sein könnte.
Je größer das Team ist, umso wichtiger ist es, dass die Teammitglieder selbst kollaborative Fähigkeiten entwickeln: gegenseitige Wertschätzung, Beziehungsmanagement, Konflikte produktiv und kreativ lösen, achtsame und zielorientierte Kommunikation, Selbststeuerung und Projektarbeit. Ein sogenanntes T-Profil beschreibt die Kombination aus Expertise und der Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Wenn das Trainingsbudget knapp ist, wird meist dem Experten-Training Vorrang vor dem sogenannten Softskill-Training gegeben. Der Mangel an diesen Fähigkeiten kann in diversen Teams aber zu einem harten Fakt für das Scheitern werden.
Auch kleine Maßnahmen haben oft eine große Wirkung
Die Organisation kann die Entwicklung einer generellen WIR-Kultur im Unternehmen begünstigen, indem Community-fördernde Maßnahmen (WOL-/Working Out Loud Circles, Peergroup-Support, Firmenteams bei Sportevents, Teammaßnahmen u. a.) unterstützt werden. Der Maschinenbauer Eisenmann beispielsweise gewährt jedem Mitarbeiter ein virtuelles Budget, mit dem über eine Crowdfunding-Plattform gemeinsame Aktivitäten verwirklicht werden können –beispielsweise ein Achtsamkeitstraining oder einen Vortrag zum Thema Zusammenarbeit zu organisieren. Auch die Frage, wie Gebäude und Arbeitsräume gestaltet werden, unterstützt das WIR-Klima. Schon das Ersetzen kleiner durch große Tische in der Kantine führt zu mehr team- oder abteilungsübergreifender Kommunikation. Die Royal Bank of Scotland hat ihr Headquarter um einen Innenhof gebaut, was dazu führt, dass sich mehr als 3000 Mitarbeiter täglich näher begegnen. Unternehmen sollten sich also im Hinblick auf Teamwork und das neue WIR durchaus einmal fragen: Gibt es bei uns einladende Begegnungsräume, wie Kaffee-Ecken, informelle Kommunikationszonen und ist es für alle nicht nur o.k., sondern gerne gesehen, diese zu nutzen?
Hochdiverse, globale, ad hoc zusammengestellte Teams sind die Lösung, um anspruchsvolle und komplexe Aufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig bergen sie auch die größte Herausforderung für erfolgreiche Zusammenarbeit. Der Schlüssel zum Projekterfolg liegt im Gestalten einer WIR-Kultur – im Projektteam und noch besser im gesamten Unternehmen.