Jörg Heynkes: Wir können die Welt nur digital retten
Für den Autor Jörg Heynkes steht soziales und ökologisches Engagement nicht im Widerspruch mit ökonomischem Erfolg. Der erfolgreiche Unternehmer und Autor begeistert sich für Zukunftstechnologien und engagiert sich aktiv für ein menschlicheres Miteinander in der Zukunft.
Ein Interview von Elita Wiegand.
Ihr erstes Buch heißt: „Zukunft 4.0. Warum wir die Welt nur digital retten – oder gar nicht.“ Viele sehen die Digitalisierung als Treiber für eine gute Zukunft. Andere bezweifeln, dass wir mit den Technologien zum Beispiel die Probleme des Klimawandels lösen oder sie fürchten, dass der Mensch überflüssig wird. Warum ist die Digitalisierung für Sie die Rettung?
Jörg Heynkes: Die entscheidende Frage der Zukunft ist: Wie können wir den Klimawandel so begrenzen, dass ein Überleben der Gattung Mensch möglich wird? Da gibt es viele unterschiedliche Lösungsansätze. Einige plädieren für den Verzicht. Das heißt, weniger und bewusster konsumieren oder ja, wir könnten doch zum Beispiel mit dem Fahrrad fahren und alle Vegetarier werden. Das sind Lösungen, die ich sympathisch finde und ich wünschte, dass sie sich realisieren ließen, aber ich gestehe, dass ich nicht mehr ich an einen fundamentalen Bewusstseinswandel glaube. Im Gegenteil: Ich halte es für naiv und gefährlich darauf zu vertrauen, dass eine Mehrheit der heute 7,6 Milliarden Menschen bereit ist, Verzicht zu üben. Die Fakten sprechen komplett dagegen. Der Fleischbedarf steigt immens, es wird mehr Energie verbraucht und heute verkaufen sich mehr SUVs denn je. Wenn wir also die entscheidenden Aufgaben lösen wollen, dann wird das nur durch den Einsatz der Digitalisierung möglich sein. Die Technologien ermöglichen uns, die Energieversorgung in Form der Sektorenkopplung zu 100 Prozent Erneuerbar und dezentral zu organisieren. Weltweit! Dank der zukünftigen „Schwarmmobilität“ lässt sich Anzahl der Fahrzeuge um 90 Prozent reduzieren. Autonom fahrende und vernetzte Elektromobile organisieren uns eine Mobilität die deutlich preiswerter, sauberer, und sicherer ist – und das wird schon in wenigen Jahren möglich sein. Wir müssen es nur wollen und endlich machen!
Zweifellos werden wir Probleme lösen, aber auch neue schaffen. Viele Menschen bewegt, wie sich die Risiken von Künstlicher Intelligenz, selbstfahrenden Fahrzeugen oder Drohnen kontrollieren und bewältigen lassen? Und wie können wir die Privatsphäre, die Gesellschaft und die Demokratie künftig schützen?
Jörg Heynkes: Wir leben in einer gefährlichen Welt. Immer schon! Durch die Digitalisierung gibt es neue Gefahren, große und fundamentale sogar. Die Fragen der Datensicherheit, die Fragen von Überwachung, bis hin zu der Gefahr, dass auch unser demokratisches System kollabiert. Alles das ist real. Wenn wir diese Risiken minimieren wollen, dann geht das nur über Einmischung und konkretes Handeln. Das bedarf aber Wissen, Kompetenz und Einfluss. Doch die Digitalkompetenz ist in der Gesellschaft nur marginal vorhanden. Wer kein ausreichendes Wissen hat, kann auch keine bedeutsame Kompetenz aufbauen. Wer inkompetent ist, hat weder Einfluss noch Macht.
Doch die amerikanischen Internetkonzerne haben die Macht, Regierungen, Wahlen oder schlicht unsere Kaufentscheidungen über Daten zu beeinflussen.
Jörg Heynkes:Unser größtes Problem ist nicht, dass es Facebook, Google oder Amazon gibt. Unser größtes Problem ist, dass es überall, nur nicht bei uns stattfindet.Der Anteil der US-amerikanischen Unternehmen am Umsatz der „Digitalen Plattformökonomien“ beträgt aktuell 64 Prozent. Die Asiaten liegen aktuell bei 31 Prozenten und die asiatischen Konzerne wie Alibaba, Tencent und Samsung wachsen enorm. Und wir stolzen Europäer aus der alten Welt? Wir haben aktuell einen Weltmarktanteil von drei Prozent. Unser größtes Dilemma ist, dass wir abgehängt sind. Wir sind bei den Zukunftsökonomien mittlerweile ein Entwicklungsland und haben deshalb auch keinen Einfluss auf das, was geschieht. Nur wenn wir es schaffen, den dramatischen Rückstand einzuholen, können wir auch den Anspruch erheben, gestalten zu wollen. Wenn nicht, dann sollten wir uns auf lange Jahre in völliger Abhängigkeit vorbereiten.
Die Veränderungen sind immens und es scheint, als ob wir mit der Transformation überfordert seien. Sie halten Vorträge in Unternehmen, bei Verbänden und Institution und konfrontieren das Publikum mit der künftigen Realität. Welche Reaktionen erfahren Sie?
Jörg Heynkes: In den Vorträgen erlebe eine große Angst vor Veränderungen. Wir sind ein Volk von Angsthasen und viele wünschen sich, dass alles so bliebe wie es ist. Das gipfelt in einer tiefsitzenden Technologiefeindlichkeit, die hemmend wirkt und die wir uns nicht leisten können. Ich schäme mich dafür, dass ich in anderen Ländern mit dem Begriff „German Angst“ konfrontiert werde. Ich wünschte mir, dass wir mehr Neugier und Lust auf das Neue entwickeln. Denn eines ist sicher, es kommt, ob wir wollen oder nicht. Für die neuen Technologien brauchen wir neues Denken, Offenheit, Wissen und Leidenschaft, die Gesellschaft zu gestalten.
Wissen, was häufig in der Politik fehlt. Auch wenn vor kurzem der Digitalrat für neuen Schwung sorgen soll, wird der nicht das rausreißen, was in der Vergangenheit verschlafen wurde. Was läuft da falsch?
Jörg Heynkes: Viele Politikerinnen und Politiker haben noch nicht begriffen, was auf uns zukommt. Sie behandeln das Thema der „Digitalisierung“ als eines von zahlreichen Problemen, das wir angehen müssen. Das ist falsch und ein tödlicher Irrtum! Ob wir den riesigen Rückstand noch aufholen, ist eine Schicksalsfrage für Deutschland und Europa. Politik und Wirtschaft liegen seit 20 Jahren eng umschlungen im gleichen Bett und träumen Seifenopern. Der Digitalrat ist eine weitere Showveranstaltung der Bundesregierung, der vermutlich nichts, aber auch gar nichts bewirkt.
Aktuell hört man, dass in Kalifornien die Energiewende volle Fahrt aufnimmt und man bis 2045 den Strom komplett aus Erneuerbaren Energien decken will. Wie weit sind wir davon entfernt?
Jörg Heynkes: Wir könnten in Deutschland bis 2035 zu 100 Prozent Erneuerbar sein und das nicht nur bei Strom, sondern in der Energieversorgung. Wärme, Kälte, Strom und Mobilität – alles organisiert in einem intelligenten System: Die Sektorenkopplung! Dafür brauchen wir Solaranlagen auf jedem geeigneten Dach, große „Power to Gas-Anlagen“, viel mehr große Wind- und Solarparks und jede Menge weitere dezentrale Windkraftanlagen überall im Land. Am besten in den Händen der Bürger und der Kommunen. Wenn wir so ausreichend dezentralen „Grünen Strom“ und „Grünes Gas“ produzieren, dann können wir uns den kompletten Ausbau der geplanten neuen Stromtrassen sparen. Unser Energiespeicher ist das bestehende Gasnetz. Das grüne Gas aus den Wind- und Solarparks wird in den bestehenden riesigen Gaskavernen gespeichert und im Winter dann mittels BHKW`S und Brennstoffzellen in Wärme und Strom umgewandelt. Das ist eine intelligente Energiewende. Wir können auf diese Art und Weise Wertschöpfungsketten mit jährlich hunderten Milliarden an Euro umleiten. Von den Taschen zahlloser Diktatoren und Oligarchen hin zu deutschen Mittelständlern. Das Geld, das wir heute den Scheichs in Saudi Arabien oder den Diktatoren in Russland überweisen, geht dann an Elektriker, Dachdecker und deutsche Firmen wie Viessmann, die BHKW`S bauen oder Firmen wie SMA, die Marktführer in der Herstellung von Wechselrichtern für Solaranlagen sind. Dafür muss die Bundesregierung endlich eine CO2 Steuer einführen, in der alle Produkte gemäß ihrem Ausstoß an CO2 oder anderen schädlichen Stoffen fair besteuert werden. Im Gegenzug könnten dutzende andere Abgaben und Steuern abgeschafft werden.
In Ihrem Buch sind Roboter auf dem Vormarsch. Sie beschäftigen sich intensiv mit Robotik und Künstlicher Intelligenz in Ihrem Unternehmen Entrance. Welche Rolle spielen Roboter in Zukunft?
Jörg Heynkes: Roboter und Algorithmen übernehmen in den kommenden Jahren zunehmend Arbeiten, die bisher Menschen ausführen mussten. Das ist eine gute Botschaft, denn seien wir mal ehrlich: Ein großer Teil von Arbeit ist lästig, viel zu gefährlich, anstrengend und vor allem stupide und sinnentleert. Viele erledigen die Arbeiten nur aus dem Zwang heraus, Geld verdienen zu müssen. Ich freue mich über jede Tätigkeit dieser Art, die endlich von Maschinen erledigt wird! Wir dürfen uns künftig auf die Tätigkeiten fokussieren, die uns Freude machen. Das werden vor allem Arbeiten sein, die Kreativität und Empathie erfordern.
Doch wie wird es uns gelingen, das Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu gestalten?
Jörg Heynkes: Der Raubtierkapitalismus, den wir mittlerweile etabliert haben, ist es nicht. Nun wird es darum gehen, ein neues, nachhaltiges und gerechteres System zu entwickeln. Wir brauchen dabei konkrete Lösungen, wie wir die enorme Wertschöpfung, die zukünftig durch Roboter erwirtschaftet werden, gesellschaftlich gerecht verteilen.
Das wäre der große Wurf und würde unserer Gesellschaft ganz neue Chancen ermöglichen. Dann kommen wir in eine Zeit, in der Roboter für uns arbeiten und wir vielleicht nur noch zehn oder 20 Stunden in der Woche für Geld arbeiten und trotzdem mehr Wohlstand hätten. In eine Zeit, in der wir endlich die Ressourcen haben, uns um uns selbst und umeinander zu kümmern. In eine Zeit, in der wir gesellschaftlich wachsen und die menschliche Gier überwinden können. Ich kämpfe dafür und wünsche mir viele Zukunftsmacher an meiner Seite.
Jörg Heynkes
Zukunft 4.1: Warum wir die Welt nur digital retten – oder gar nicht