Gut kommunizieren heißt Lebensenergien schenken

Von Dr. Werner Siegert

Von Paul Watzlawick stammt der wichtige Hinweis: Sie können nicht Nichtkommunizieren! Er sei auch hier vorweg geschickt. Mit allen verbalen und nonverbalen Varianten hat jeder die Wahl: anderen Lebensenergien zu schenken oder ihnen diese lebensnotwendigen Energien zu entziehen und ihnen sogar das Leben zur Hölle zu machen. Mit jeglicher Art, wie Sie kommunizieren.

Nehmen wir uns Zeit für eine kleine Geschichte:

Ein kleiner Junge namens Siggi, etwa 12 Jahre alt, hat auf dem Schulhof Gefallen an einem hübschen Mädchen etwa gleichen Alters gefunden, von dem er nur weiß, dass es Anni heißt.

Er möchte gern, dass Anni „mit ihm geht“, also Freundschaft mit Anni schließen. Wie soll er es anfangen? Unser verträumter Siggi beschließt, Anni einen Liebesbrief zu schreiben, aber nicht einen normalen, sondern in Form eines Gedichtes. Er schließt sich nachmittags in sein Zimmer ein und ersinnt Verse, mit denen er glaubt, Anni für sich gewinnen zu können. Als sein Werk vor ihm bestehen kann, schreibt er es auf himmelblaues Briefpapier, das er noch von seiner Erstkommunion hat, und versteht es, den himmelblauen Brief am frühen Morgen seiner Angebeteten überbringen zu lassen.

In der großen Pause schaut er erwartungsvoll dorthin, wo sich Anni mit ihren Freundinnen zu versammeln pflegt, um die erhofften Signale aufzufangen. Aber sein Entsetzen ist groß, als er sieht, dass im Kreise der Mädchen ein himmelblaues Schriftstück die Runde macht und sich die Schülerinnen halb totlachen. Ja, einige zeigen sogar mit Fingern auf ihn.

Er wird verlegen, heiß und kalt läuft es ihm den Rücken hinunter. Trauer befällt ihn. Er passt in den nachfolgenden Schulstunden nicht mehr auf und kassiert dafür schlechte Noten. Mittags trottet Siggi zögerlich nachhause. Passt an der Ampel nicht auf. Alle Energie hat ihn verlassen. Zuhause stochert er lustlos im Essen herum. Seine Mutter sieht seine rot unterlaufenen Augen, glaubt an eine Infektion und drängt ihn, wenigstens ein Glas heiße Milch mit Honig zu trinken. Dann verschwindet er wieder in seinem Zimmer und versinkt im Liebeskummer. Ein Leben ohne Anni? Sinnlos.

Da fällt sein Blick auf eine Postsendung. Er hatte sich eine CD mit Liedern von Michael Jackson bestellt. Während er seinem Lieblingssänger lauscht, kommt ihm die Idee, er könne ja für Anni eine Kopie auf eine CD brennen und ihr schenken.

Gesagt – getan! Diesmal schreibt er kein Gedicht dazu, sondern nur ein paar Zeilen: „Liebe Anni, ich habe Dir meine neueste Michael-Jackson-CD aufgenommen. Vielleicht magst Du ihn ja auch. Ich habe noch mehr Musik von ihm und würde mich freuen, wenn Du mal zu mir kämest, um mit mir CDs anzuhören. Dein Siggi!“

Wieder schaut er auf dem Schulhof, wie wohl Anni diesmal reagiert. Und toll, Anni kommt auf ihn zu gelaufen, mit der CD in der Hand, und dankt ihm, entschuldigt sich für ihr Verhalten am Vortage und verspricht, bald einmal zu ihm zu kommen.

Siggi ist wie verwandelt! Er ist fröhlich, springt herum, passt wieder in der Stunde nicht auf, weil er Herzchen malen muss. Mittags stürmt er nachhause. Er isst wie ein Scheunendrescher. Die Mama atmet auf. „Gottlob“, sagt sie, „heiße Milch mit Honig, das hat immer geholfen!“

Wir wissen es besser. Am ersten Tag hatte Siggi seinem Schwarm etwas Gutes tun wollen. Das aber ist bei Anni nicht gut angekommen. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von wirklich gut. Anni hat negativ reagiert. Diese negative Reaktion hat Siggi von einer Sekunde auf die andere alle Energien entzogen, so dass er auf seine Mama sogar kränklich wirkte. Das kann man mit einer einfachen Zeichnung so darstellen:

Am folgenden Tag lief es besser. Wieder hat er Anni etwas Gutes tun wollen, und diesmal ist seine Sendung sogar sehr gut angekommen. Anni reagierte von Herzen positiv. Von einer Sekunde auf die andere wurde Siggi von Lebensfreude und Kraft erfüllt. Sein Blutdruck normalisierte sich. Er bekam wieder Appetit und rote Wangen – nicht von heißer Milch mit Honig!

Was uns diese kleine Geschichte erzählt, passiert jeden Tag mit uns allen.

Unsere seelischen Energien erwachsen aus gelingenden Kommunikationen und Beziehungen, und sie werden durch negative Aktionen und Reaktionen zerstört.

Wer sich bemüht, positiv zu „senden“, kann darauf hoffen, dass seine Sendung auch positiv ankommt. Eine Garantie hat er nicht, wie wir aus dem Echo auf Siggis ersten Brief ersehen konnten. Wer aber negativ sendet, geht fast immer sicher, dass er Energien zerstört und negative Reaktionen provoziert:

Solche negativen Sendungen können Zerstörungen aber auch auf eine andere, noch vertracktere Weise herbeiführen.

Wenn Frauen zu sehr lieben…

Die amerikanische Autorin Robin Norwood beschreibt das sehr trefflich in ihrem Bestseller „Wenn Frauen zu sehr lieben“. Die Lebensgeschichten der darin geschilderten Schicksale werden fast immer davon bestimmt, dass ein Mann sich in irgendeiner Weise negativ verhält. Er trinkt, nimmt Drogen, ist faul, schlägt seine Freundin. Die Frauen reagieren jedoch auf dieses Fehlverhalten oft durch eine Verstärkung ihrer liebevollen Anstrengungen und Opfer. Sie glauben, durch noch mehr Liebe, noch stärkeren Einsatz endlich irgendwann diese Männer zu bekehren und umzuwandeln. So hat eine Frau lange Zeit versucht, ihrem Mann jeden Tag ein frisches, akkurat gebügeltes Hemd hinzulegen, ihm jeden Tag ein leckeres Essen zuzubereiten. Dennoch kam nie ein Dankeswort, nie eine Anerkennung über seine Lippen. Nüchtern betrachtet werden die Männer auf diese Weise noch für ihr Fehlverhalten belohnt und könnten zynisch erkennen, dass sie umso höhere Belohnungen empfangen, je fieser sie sich aufführen. Jede Besserung dagegen hätte ein Nachlassen der Anstrengungen ihrer Partnerinnen zur Folge.

Parallelen im Alltag

Wer allerdings glaubt, solche Reaktionen seien nur auf krasse Fälle wie in Norwoods Buch beschränkt, übersieht die zahlreichen Parallelen aus dem heutigen Alltag. Da werden Mitarbeiter von Chefs bedroht, beschimpft, „fertiggemacht“, gemobbt – und diese reagieren mit noch mehr Arbeitseinsatz. Sie lassen sich fertigmachen, weil sie fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Kranke Abhängigkeit

Aber auch dies ist realistisch: Da hat eine Frau das Geld. Sie ist vermögend. Ihr gehört das Haus. Und sie „hat die Hosen an“ und erklärt ihrem Partner jeden Tag, wo es lang geht. Auch für ihn kann das Leben zur Hölle werden – und er fügt sich. Auch Männer können zu sehr lieben, wenn sie beispielsweise ihre alkoholabhängige Partnerin schonen, wenn sie eine Drogensüchtige durch ihre „Liebe“ umzukrempeln versuchen. Das gesamte „Ko-Verhalten“ gehört hierher: „Ko“ steht hier als Abkürzung für „kooperierendes Verhalten“. Jeder Alkoholiker, jeder Drogensüchtige, jeder Faulpelz und Tunichtgut ist meist von „Ko’s“ umgeben, die ihn decken, ihn ernähren, ihm sein Fehlverhalten ermöglichen.

Erschöpfte Energiequelle Kraft

Was aber geschieht mit den Energien der fürsorglichen „Ko’s“? Was geschieht mit den Energien der Mitarbeiter eines miesen Chefs? Die deutsche Sprache hat für diese Vorgänge sehr bildhafte Wörter: Wenn sie nicht noch aus anderen Energiequellen Kraft schöpfen können, so erschöpfen sie sich selbst. Sie sind eines Tages erschöpft. Schöpfen und Erschöpfen, das sind Bilder, bei denen wir vor unseren Augen einen Krug sehen, aus dem ständig geschöpft wird. Wird nicht gleichzeitig in diesen Krug etwas hinein geschöpft, so ist bald der Boden erreicht. Der Krug ist „erschöpft“.

Das, was in den Krug unserer Lebensenergien hinein fließt, ist nichts anderes als Liebe. Das was wir herausschöpfen, ist die Liebe, die wir anderen oder etwas anderem widmen.

Natürlich verstehen wir hier unter Liebe nicht nur die erotische oder sexuelle Liebe, sondern auch die Liebe zu unseren Mitmenschen, zu unserem Tun, zu unserer Heimat, zur Natur, zu Tieren und Pflanzen und vielen anderen Dingen, die wir lieben.

Wer keine Liebe mehr erfährt oder nicht (mehr) in der Lage ist, die geschenkte Liebe als solche zu erkennen, dessen Lebenskrug ist bald erschöpft. Sein Mangel an Lebensenergien mindert seine Widerstandskraft gegen Krankheiten. Sein Immunsystem wird schwächlich. Die Krebszellen treffen nicht mehr auf Gegenkräfte. Die Gelenk“schmiere“ im Bewegungsapparat und in der Wirbelsäule erneuert sich nicht mehr genug. Der Körper beginnt, an seiner eigenen Substanz zu zehren. Hunderte von Krankheiten und Schwächen entstehen so – psychosomatisch oder psychogen -,  durch eine erschöpfte und misshandelte Seele.

Dem „Schreibtischtäter“, der durch seine Unterschriften und Verfügungen Menschenleben zugrunde richtet, entspricht auf eine abgefeimtere Weise der „Kaffeetisch-Täter“, der (oder die) mit negativer Kommunikation den Partner schleichend umbringt.

Dass ein Mensch sich selbst, seine Seele und seinen Körper, auch selber misshandeln kann, kann hier nur am Rande erwähnt werden. Wer ständig mit seinem Selbst hadert, zerstört sich. Nicht ohne Grund heißt es in der Bibel: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Wer sich selbst nicht lieben kann, wird auch für andere gefährlich.

Ein Mensch hat nie nur eine Energiequelle!

Sind wir also auf Gedeih und Verderb nur dem einen Kommunikations-Partner ausgeliefert?

Seelische Energien beziehen wir im Allgemeinen aus dem Umgang mit vielen Menschen, mit dem Lebenspartner, mit den Kindern, mit der Familie, mit unseren Freunden, Nachbarn und Bekannten, mit Kollegen. Aber auch – wie oben gesagt – mit Tieren, mit Pflanzen, mit der Natur, mit der Kunst und Kultur. Jeder Mensch, der mit uns auf ehrliche Weise liebevoll umgeht, schenkt uns seelische Lebensenergien.  Jedem Menschen, mit dem wir liebevoll umgehen, schenken wir solche Energien. Statistiken beweisen, dass Menschen, die Hunde, Katzen, Vögel, Pferde und andere Tiere um sich herum haben, gesünder sind und länger leben. Insbesondere Hunde gelten als gesundheitsstärkend, wohl weil sie ihren Frauchen und Herrchen mehr Zuwendung spenden als Fische oder eigenwillige Katzen. Auch jedes Hobby wirkt, wenn es nicht extrem betrieben wird oder in sich gesundheitsschädlich ist, Energie spendend.

Alles, was hier als Energiespender genannt worden ist, kann auch zu bedeutenden Energievernichtern werden. Das Leben ist nicht nur eitel Sonnenschein. Wir begegnen vielmehr auch solchen Menschen und müssen uns mit solchen Ereignissen und Faktoren auseinandersetzen, die alles andere als positiv auf uns wirken. Das kostet uns Kraft. Das Schicksal meint es mit manchen Menschen sogar besonders schlimm. Sie werden von Leid überzogen. Ihr Alltag ist vom Kummer, von Sorgen geprägt, von Krankheit, vom Tod lieber Menschen, von Verlassensein, von Not, von den Auswirkungen von Verbrechen und Unfällen und von Krieg und Katastrophen.

Dass viele dieser Menschen dennoch nicht zusammenbrechen, nicht die Flucht in den Tod wählen, sondern mit bewundernswerter Stärke ihr Leid tragen, verdanken sie zumeist der Kraftquelle, die sie sich durch ihre Religiosität, ihren Glauben und ihre Hinwendung an Gott, erschließen.

Fazit: Jeder Mensch ist in ein persönliches Netz eingewoben, in dem positive und negative Energieströme fließen. Man kann dies ein „persönliches Energienetz“ nennen. Der Verfasser hat es erstmalig in seinem Buch „Selbst-Management und Liebe – Mehr Lebensenergie“ (Münchner Verlagsanstalt 1991, vergriffen) vorgestellt.

Energiequelle: Beruf

Ein bedeutender Energiespender (oder -vernichter) ist hier noch nicht genannt worden – es ist der Beruf! Im Arbeitsleben eines Menschen sollte die Erfüllung im Beruf eine besonders starke Energiequelle sein. Der Mensch investiert unermesslich viel Kraft, Anstrengungen, Stress, Aufmerksamkeit, geistige Ressourcen, und ein Drittel seiner wachen Lebenszeit (ohne Schlafenszeit) in den Beruf. Stiftet ihm dieser Beruf tatsächlich Sinnerfüllung, Erfolgserlebnisse, eine angemessene Bezahlung, bereichernde Begegnungen mit anderen Menschen, so bereitet er Freude. Was Freude bereitet, versorgt uns auch mit Energien.

Manche glauben sogar, so viel Erfüllung in ihrem Beruf zu finden, dass sie andere Energiequellen stark vernachlässigen. Sie gehen ganz in ihrer Arbeit auf. Das kann krankhafte Züge annehmen, alle Formen einer Sucht; dann sprechen wir von Workaholics. Sie nehmen sich keine Zeit für ihre Partner, für die Familie, für Freunde, für Hobbys. Das rächt sich, wenn es zur Verabschiedung in den „wohlverdienten Ruhestand“ kommt, wenn die jahrzehntelange Energiequelle „Beruf“ auf einmal versiegt. Je mehr sich dieser Mann oder diese Frau ihrem Beruf verschrieben hatten, je mehr sie darin ihre Erfüllung gefunden hatten, desto härter trifft sie das plötzliche Abschalten dieses lebenswichtigen Stroms.

Auf dem Abstellgleis?

Frühpensionierte, hochqualifizierte Arbeitskräfte, die einmal jahrzehntelang Kraft, Geld und Zeit in ihre Aus-, Fort- und Weiterbildung investiert haben, häufig unter erheblichem Konsumverzicht, die weitere Jahre benötigt haben, um einen wertvollen Erfahrungsschatz zu sammeln, sehen sich plötzlich aufs Abstellgleis geschoben, nur weil sie einige Jahre über 54 sind und ein wohlversorgter Vorstand im Interesse des „shareholder-value“, also des Aktienkurses, diesen „Heckenschnitt“ beschlossen hat. Dieses Abgeschaltet- und Abgewertetwerden kann einen so heftigen Schock auslösen, dass es zum Herzinfarkt kommt. Es kann Selbstmord-Gedanken reifen lassen. Es kann Persönlichkeitsveränderungen herbeiführen. In jedem Falle führt es zu einer dramatischen Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls. Dabei geht es nicht nur darum, dass aus dem Beruf keine Energie mehr zurückfließt, beziehungsweise jetzt sogar nur noch negative „returns“ (= Rückflüsse) erfolgen, diese Person kann auch ihren gewohnten Leistungsstrom nirgendwo einspeisen.

Wenn jetzt also nicht von irgendwo ein anderer starker Energiestrom die verloren gegangene Energiequelle kompensiert, kann es zu einer gefährlichen Lebenskrise kommen. Daher ist es wichtig, dass Pensionierte möglichst schnell ein neues Engagement finden, denen sie ihre Kenntnisse und Erfahrungen zufließen lassen können. Ehrenämter bieten sich an.

Foto: Kristin Baldeschwiler auf Pixabay
Grafiken: Werner Siegert

Zur Person

Dipl. Kfm. Dr. Werner Siegert ist ein Grenzgänger. Mit acht Jahren hat er in Heftform seine erste Zeitschrift in Handschrift mit eingeklebten Bildern veröffentlicht.

Während des Studiums in Köln war er Hauptschriftleiter der Kölner Studentenzeitung „perspektiven“. Anschließend bekleidete er Führungspositionen in der freien Wirtschaft. Von 1967 bis 1974 war er Chefredakteur der Zeitschrift für Unternehmensführung PLUS. Anschließend selbstständiger Unternehmensberater, Trainer und Fachschriftsteller bis heute. Gleichzeitig entstanden über 20 Romane, Krimis, Kurzgeschichtenbände und Drehbücher.

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