Frauen verhalten sich oft vornehm zurückhaltend, stellen ihr Licht unter den Scheffel und beurteilen ihre Leistung weniger positiv als Männer. Warum ist der weibliche Selbstwert angekratzt?
Simone Langendörfer: Hinter den Selbstzweifeln steckt bei Frauen eine tief verwurzelte Konditionierung und Sozialisierung, die in der Kindheit beginnt. Da spielt von klein an das Bild der Frau eine große Rolle. Oft werden Mädchen gelobt, wenn sie artig und brav sind. Mädchen verleugnen so ihre eigenen Gefühle, passen sich sehr schnell an und erfüllen damit die Erwartungen der Erwachsenen, um geliebt zu werden. So beginnt der weibliche Prozess der Normierung. Verbunden sind damit die Fragen: Wie werden Mädchen zurückgespiegelt? Werden sie angenommen und bestärkt? Dürfen sich Mädchen ausprobieren, dürfen sie Fehler machen? Dürfen Sie Erfahrungen sammeln? Junge Frauen erfahren öfter Geringschätzung und nicht die Wertschätzung, die sie bräuchten. Hinzu kommt, dass Frauen über Jahrhunderte der Zugang zur Bildung verwehrt wurde. Kunst oder Medizin, Wissenschaft oder Wirtschaft waren Männerdomänen, die uns versperrt waren. Das hat sich verändert. Heute hat jede dritte Frau zwischen 30 und 34 einen Hochschulabschluss und wir haben die Akademiker längst überholt. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Weisheit im Weiblichen wieder neu entdecken und dazu brauchen wir Frauen mit einem stabilen Selbstwert.
Das Selbstbewusstsein leidet oft unter den Folgen des Perfektionszwangs. Warum tappen Frauen in die Falle?
Simone Langendörfer: Frauen haben sehr oft ein negatives Selbstbild, das Selbstvertrauen schwankt je nach Tagesform und so definieren sie sich oft über ihre Leistung. Dadurch baut sich ständig ein großes, inneres Spannungsfeld auf. Sie wollen sich Lob, Anerkennung und Liebe verdienen und bewegen sich dadurch in einem Hamsterrad – und überfordern sich. „Ich mach das mit links, mal eben den Haushalt schmeißen, die Karriere, Kinder erziehen und obendrauf ist man die perfekte Partnerin, Liebhaberin und Freundin für den Mann!“ Diese Einstellung ist mit dem ständigen Streben nach Perfektionismus verbunden und verdeutlicht das emotionale Defizit. Die Lösung: Frauen sollten sich ihre eigene Angst und Unsicherheit bewusst machen. Sie dürfen andere auch mal enttäuschen oder ablehnen. Es ist wichtig, dass Frauen in sich spüren, dass sie gut genug und liebenswert sind. Frauen sollten sich selbst erlauben, Fehler zu machen, aus der Reihe zu tanzen und sich ihre Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.
Sie plädieren für einen Wandel der weiblichen Werte. Was meinen Sie konkret damit?
Simone Langendörfer: Gerade heute, in Zeiten der Digitalisierung braucht unsere Gesellschaft das weibliche Potential dringender denn je. Die weiblichen Fähigkeiten und Talente sind in agilen Organisationen bedeutend. Teamgeist, Intuition, Kommunikation, das „Hinein spüren in Menschen“, Weitblick und Empathie sind die Skills, die wir jetzt für eine erfolgreiche digitale Transformation und für eine werteorientierte Unternehmenskultur brauchen. Ich bin kein Fan des Gender Mainstreams, weil wir uns nicht alle gleich machen können. Doch die typischen männlichen Verhaltensweisen wie Konkurrenzdenken, fest definierte Hierarchien, Dominanz über andere und ein egogetriebener Wettbewerb sind heute eher kontraproduktiv. Im digitalen Kulturwandel sind Frauen gefragt und da sehe ich die große Chance Weiblichkeit stärker in den Fokus zu rücken und die Stärken aus einer authentisch gelebten Weiblichkeit als etwas sehr Wertvolles zu begrüßen.
Die Weiblichkeit muss also stärker in den Fokus rücken, bedeutet aber auch, dass sich Frauen ihrer Selbst bewusst sind und ihren Wert erkennen. Wie?
Simone Langendörfer: Als Expertin für Achtsamkeit, ist für mich die Selbstreflexion sehr wichtig. Die Aufgabe besteht darin, dass wir die Qualität unserer Gefühle jetzt, in diesem Moment wahrnehmen und unsere Ängste und Zweifel bewusst spüren ohne dagegen anzukämpfen. Frauen dürfen „emotional“ sein, denn genau das ist ihre Stärke! Wir sind heute viel zu „verkopft“ und kommen damit immer mehr an unsere Grenzen. Wir sollten unsere Unsicherheit durch Zuversicht und Vertrauen in unsere Fähigkeiten ersetzen und uns selbst Mut zusprechen. „Ja, ich traue mir, ich spüre die Kraft in mir! Ich habe schon so viel Gutes in meinem Leben erreicht!“ Wenn wir uns immer wieder nach innen fokussieren, setzen wir neue, positive Energie in uns frei und erhöhen unser „Energieniveau“. So bekommen wir eine kraftvolle Ausstrahlung, die von anderen sofort wahrgenommen wird. Die achtsame Lebensweise führt dazu, dass wir immer mehr Freude, Leichtigkeit und Sicherheit in uns spüren. Jede Frau kann das trainieren und anwenden. Wir haben die Hebel, um unser Selbstbewusstsein zu stärken, immer selbst in der Hand! Sich seiner selbst bewusst zu sein, bedeutet, das Leben anzunehmen und nicht mehr zu urteilen. In der Selbstliebe akzeptiere ich mich so wie ich bin. Ich höre auf, mich ständig mit anderen zu vergleichen. Ich beginne, mir selbst immer mehr zu vertrauen. Und das erschafft einen hohen, stabilen Selbstwert, der nicht davon abhängig ist, was im Außen geschieht. Ich spüre, dass Weiblichkeit wertvoll ist. Und somit kommt immer mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung in mein Leben. Dieses Gefühl, das tief in unserem Herzen entsteht, macht wahrhaft glücklich!