Automobilhersteller: No-Go

Buchtipp: Taumelnde Giganten | Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?

Von Elita Wiegand

Wir fahren darauf ab: Es ist wie eine Liebe, die uns blind macht. Wir tätscheln es, verbinden das Objekt der Begierde mit Freiheit und Status, sind vernebelt –  und klammern uns an längst vergangene Zeiten. Die Liebe rostet, die Last mit der Blechlawine wird immer größer, trotzdem halten wir an Autos fest. Die Mobilitätsexperten Weert Canzler und Andreas Knie analysieren in ihrem Buch „Taumelnde Giganten“ die Macht der Automobilindustrie, verdeutlichen wie das Auto zum Wohlstandssymbol geworden ist und suchen Lösungen für eine Verkehrswende. Kriegen wir die Kurve?

Autos als Indikator für eine prosperierende Volkswirtschaft

Ist die Automobilindustrie veränderungsresistent? Ob Dieselskandal, Preisabsprachen, schlicht Betrug, es ändert sich – nichts. Wie in einem Knäuel verstrickt, spielt die Politik mit verdeckten Karten und schützt die Branche auf Kosten der Bürger. Da fühlt man sich veräppelt, ist sprachlos und fragt sich, was sich hinter den Kulissen abspielt. Die beiden Autoren Weert Canzler und Andreas Knie bringen Licht ins Dunkel, zeigen die Abhängigkeiten und Verstrickungen und verdeutlichen den Leerlauf. Der Leser versteht einmal mehr, warum der Weg der Veränderung so steinig ist und es scheint fast aussichtslos die Verkrustungen aufzulösen. Zwischendurch packt man sich an den Kopf, möchte laut ausrufen: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Unter diesen Konzerndächern kann nichts Neues entstehen und es schwindet sogar die Hoffnung, dass überhaupt noch etwas geschieht, um die Selbstzerlegung zu vermeiden.

Rückwarts gewandt 

Rückwärts gewandt, zeigt sich bis heute, dass das individuelle Verkehrsmittel als Indikator für eine prosperierende Volkswirtschaft gilt: Je mehr Autos, desto besser geht es der Volkswirtschaft. Deshalb setzte die Politik auf eine Massenmotorisierung, erließ Steuervorteile und noch jetzt wird der Diesel subventioniert und führte seit 1990 bis 2015 zu Steuermindereinnahmen von rund 254 Millionen Euro. Immer, so scheint es, ist es darum gegangen, den Besitz des eigenen Autos zu fördern und unterstützen. Dass der öffentliche Personennahverkehr, Radwege oder eine lebenswerte Stadtplanung vernachlässigt wurde – und wird, versteht man durch das Buch besser. Bedenklich, wenn sich in der Zeit vom Jahre 2000 bis 2015 der ÖPNV um 73 Prozent erhöht hat, während das Autofahren gerade Mal 27 Prozent teurer geworden ist.

Warum neu erfinden?

Mit ihrer bisherigen Strategie befinden sich die Hersteller immer noch auf der Überholspur, fahren satte Gewinne ein und bleiben von der Politik und den Verbrauchern unangetastet. „Die Automobilindustrie ist Opfer des eigenen Erfolgs und der ist innovationsfeindlich“, so Canzler und Knie. Die Signale aus China und Kalifornien sind inzwischen eindeutig und die Autoren konstatieren, dass wir in Deutschland vor einer Richtungsentscheidung stehen. Zudem etablieren sich immer mehr digitale Plattformen, die eine ökologischere Mobilität ermöglichen. Die Alternativen erscheinen aber vielen noch sperrig, wie zerschlägt man also den Traum vom Autoglück? Um der Zwickmühle zu entkommen, könnte der Staat überfällige Veränderungen probeweise, so wie orts -und zeitlich begrenzt vornehmen, so der Vorschlag der beiden Autoren. Experimentier-Räume schaffen ein Fenster zur Zukunft und dazu werden in dem Buch Beispiele für den ländlichen Raum, Lösungen für die Pendler-Republik oder neue Mobilitätskonzepte für die Stadt vorgestellt.

Bleibt der Wunsch, dass die Ideen umgesetzt werden und ein neuer Mobilitätsgeist entsteht. Vielleicht aber holt uns die Transformation schneller ein, als wir uns derzeit vorstellen. Wenn in naher Zukunft autonom fahrende Autos unterwegs sind, muss sich die Branche eh neu erfinden, ob sie will oder nicht.

Buch: Taumelnde Giganten | Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?
Erschienen im oekom Verlag

Über die Autoren:
Dr. Weert Canzler und Prof. Andreas Knie sind Sozialforscher und haben an Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Projektgruppe Mobilität gegründet.