Alles nur Bluff? Wie authentisch darf es denn sein?
Von Elita Wiegand
Vorhang auf – Spot an! Wir stehen im Rampenlicht, unser Auftritt! Die Rolle ist einstudiert. Wir haben gelernt, uns perfekt zu inszenieren. Wir flunkern und übertreiben, weil wir nach dem Applaus süchtig sind, passen uns an, weil wir vom Job abhängig sind, überreden, weil wir überzeugen wollen. Das Stück läuft in der Dauerschleife. Doch auf einmal ändern sich die Regeln. Jeder möchte er selbst, also authentisch sein, aber stimmt das eigentlich?
Nun sei mal echt!
Der Authentizitäts-Wahn führt in die Irre, aber man ist anfällig für das Versprechen, weil dahinter die tiefe Sehnsucht steckt, das wahre Ich zu entdecken. Es gibt ein Leben hinter der Maske, predigen Coaches und Berater und verkaufen Erfolgsrezepte für die authentische Selbstdarstellung. Selbst Google hilft, hinter die Fassade zu blicken. Während ich schreibe, ist die Suchanfrage aktualisiert: Das Ruhrgebiet, der Hollywoodstar Julianne Moore, ein Likör, weibliche Führungskräfte oder das erste Date – alles ist echt authentisch. Doch es wird immer enger mit der Authentizität und absurder. Filmreif die Rollen für die Massen und immer mit dabei: Heide Klum, Til Schweiger oder Helene Fischer. Die Auftritte toppen nur noch Vorstände mit ihrem Siegerlächeln bei Aktionärsversammlungen.
Alles nur Bluff?
„Ich bin, wie ich bin. Natürlich authentisch.“ Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn man das Mantra oft genug wiederholt, bleibt es im Social Media Web ein Trugschluss. Da postet man das Selfie vor dem neuen Sportwagen, schreibt über den geilen Auftrag, den man an Land gezogen hat, prahlt mit dem Vertrag des Verlages, bei dem das nächste Buch erscheint. Zwischendurch ein Sonnenuntergang von der Trauminsel oder das Foto in einem angesagten Restaurant. Die Selbstvermarktungs-Maschine läuft wie geschmiert, und wenn es nicht passt, wird es passend gemacht oder man nutzt die Selfie-Optimierungs App mit der jedes Bild aufgehübscht wird. Zu dick aufgetragen? Viele Likes sind Balsam für die Seele, sind ein Aufheller für das Selbstwertgefühl, aber die Seifenblase der »inszenierten Authentizität» platzt, wenn man die virtuelle Welt verlässt.
Wer bin ich – und wie viele?
Mittags die Geschäftsfrau im biederen Kostüm, abends der Vamp in High Heels. Perfekt. Das Leben ist bunt und vielfältig, bietet unendlich viele Möglichkeiten und dafür schlüpfen wir doch gerne mal in die verschiedenen Rollen. Vielleicht wartet an der Ecke der potente Partner oder wir ergattern die Lizenz, in der obersten Liga mitzuspielen. Wir wollen keine Chancen vermasseln.
In der Kindheit programmiert
Schein oder Sein? Bluff, Original oder Fake? Wir würden ja gerne echt sein, aber können wir es auch? Das Authentizitäts-Programm hat ein paar Jahre auf dem Buckel, Geschichten, die in der Kindheit spielen. Kinder sind neugierig, beobachten das Tun und Treiben um sie herum. Wir haben es damals nachgemacht und haben eine spielerische Freude entwickelt, die Welt zu entdecken. Wir wollten Lob und Anerkennung von den Erwachsenen und haben deshalb unsere Bemühungen verstärkt. Kritik und Ablehnung? Da fühlten wir uns ungeliebt. Also haben wir uns angepasst, haben die Erwartungen erfüllt, haben gelernt, wofür wir Beifall erhalten. Damit begann der Prozess der Normierung und damals wurde entschieden, ob wir zum angepassten Mitläufer oder zur authentischen Persönlichkeit werden.
Wer sagt denn, dass es einfach wird?
Dass es Arbeit ist, die Authentizität wieder zu entdecken, hat uns keiner gesagt. Hoppla, da gilt es alte Überzeugungen über Bord zu werfen, Denk- und Handlungsmuster in Frage zu stellen und sich neu zu sortieren. Die Muster überprüfen, bedeutet oft auch, dass damit vielleicht ein schmerzlicher Prozess verbunden ist. Denn man stellt vielleicht fest, dass man immer noch den Eltern „gehorcht“, ihrem Bild entspricht und sich nach ihrer Anerkennung sehnt.
Doch wer sich selbst treu ist, entwickelt Selbstbewusstsein, generiert Energien, liebt und lebt selbstbestimmt. Man kennt seine Stärken und Schwächen und akzeptiert Fehler, die passieren. Somit ist man gegen Kritik gefeit, erfährt mehr Respekt und Anerkennung, ist entspannter und unabhängiger, lebt die eigenen Werte. Authentizität ist somit die Basis für ein freudvolles Leben und dafür lohnt sich doch der persönliche Wertewandel, oder?