Disruptives WAS?

Wie innovative Trendsetter etablierten Unternehmen den Spiegel vorhalten

von Marcus König, mensch.business *

Jetzt sind wir also soweit! Das Dampfschiff hat das Segelschiff ersetzt, das Auto die Pferdekutsche und die Digitalfotografie eine ganze Branche nachhaltig verändert. Doch das ist alles schon lange her… Vergangenheit! Wir haben uns daran gewöhnt und den disruptiven Vorgang erfolgreich aus den Köpfen verbannt, verdrängt oder einfach nur vergessen.

Heutzutage ereifern wir uns über neue Unglaublichkeiten, wenn eine Firma UBER Taxifahren anders denkt, oder airbnb das Reisen neu definiert. Schnell haben wir das Modewort disruptiv auf der Zunge und benutzen es für alles Neue – ob es passt oder nicht. Harte Zeiten auch für Fleisch & Wurst, drängt doch ein neuer Marktbegleiter ein – Tofu. Sozusagen das airbnb der Fleisch- und Wurstwaren. Geht die Erfolgsgeschichte so weiter, finden unzählige Steaks, Bratwürste und Aufschnittsorten keine Verwendung mehr – sind dann sozusagen überflüssig. Wo ist der öffentliche Aufschrei über die Ungerechtigkeit von Grillen 4.0?

Die Schalen der Innovationszwiebel

Eine disruptive Technologie (englisch to disrupt „unterbrechen“) ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt. So schreibt Wikipedia. Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen hat den Begriff der disruptiven Innovation zuerst geprägt. In seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ spricht er in diesem Zusammenhang von der dritten Schale der Innovationszwiebel, bei der einem schon die Tränen kommen können, da bisher bekannte Routinen vollkommen über den Haufen geworfen werden. Als vierte Schale wird dann das Bewusstsein disruptiver Innovationen genannt – also die wissentliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, zerstörerisch zu sein oder eine derartige Wirkung zu erfahren. Es kristallisieren sich zwei wesentliche Arten disruptiver Technologie heraus:

  1. Low-End-Disruption:

Hier existiert der Markt bereits und die neuen Player „greifen“ mit Unterbieten der existierenden Spielregeln an. Beispiele sind hier UBER, Ryan-Air oder Airbnb.

  1. New-Market-Disruption:

Hier handelt es sich um Produkte, die oft einfacher und leichter zu handhaben sowie günstiger sind als die etablierten Erzeugnisse. Als prominentes Beispiel dient der Actionkamera- Hersteller GoPro.

Alles disruptiv?

Mittlerweile entstehen neue Geschäftsmodelle, die damit werben, für Firmen disruptive Strategien zu erarbeiten. Nein, Ziel ist dabei nicht, die Firma zu zerstören und vom Markt zu nehmen – wobei das aber passieren kann. Ziel ist es, für Firmen eine Strategie zu entwickeln, mit der diese disruptiv auf die Konkurrenz wirken. Das führt dann schnell zu disruptivem Marketing, disruptivem HR-Management (war es das nicht schon immer?) und so weiter, und so weiter. Alles disruptiv, da dieser Begriff offensichtlich von global thinking und business intelligence zeugt.

Auf Lorbeeren ausruhen hat wenig mit Unternehmertum zu tun!

Was ist denn nun an dem disruptiven Ansatz so bedrohlich? Ist es nicht eher der Spiegel, der etablierten Unternehmen vorgehalten wird? Sich auf den Lorbeeren auszuruhen hat wenig mit Unternehmertum zu tun. Sich dann auch noch über neue Marktteilnehmer beklagen, die in einer Nische anfangend, den Markt in ihrem Segment aufzurollen, ist höchst unprofessionell. Oft entstehen disruptive Produkte oder Dienstleistungen nicht mit einem großen Knall – quasi über Nacht, sondern entwickeln sich im Schatten existierender Produkte oder Dienstleistungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Spätestens jetzt ist Sichtbarkeit gegeben und damit wäre grundsätzlich auch eine Reaktion der Etablierten möglich. Ist die neue Technologie oder Dienstleistung erst einmal im Markt angekommen und wird von Kunden angenommen, entwickelt sich häufig ein Momentum, welches sehr rasch an Fahrt aufnimmt. Dabei liegt die Lösung für Unternehmen relativ offensichtlich auf der Hand:

  1. Selbst das eigene Tun permanent kritisch hinterfragen und auf Weiterentwicklungspotentiale überprüfen.

Sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen ist – wie soeben beschrieben – äußerst gefährlich, vernebelt es doch die Sicht auf das Umfeld. Man wähnt sich in Sicherheit und glaubt, dass schon alles gut werden wird – obwohl die Zeichen längst auf Sturm stehen. Dabei ist es auch nicht hilfreich, einmal  Marktführer gewesen zu sein, wie Nokia schmerzhaft erfahren musste. Erfolgreiche Unternehmen nehmen sich regelmäßig – gerade in Zeiten größtmöglichen Erfolges – eine Auszeit, um die eigene Vorgehensweise zu überprüfen.

  1. Trends im Markt rechtzeitig erkennen.

Die großen Energieversorger haben lange Zeit die erneuerbaren Energien und deren Erzeugungen ignoriert und bekämpft,  statt sich dem Trend zu stellen und Lösungen zu finden. Gleiches könnte in der Automobilbranche mit der Elektromobilität oder dem autonomen Fahren passieren. Trends geben Auskunft über zukünftiges Geschäft. Sich damit rechtzeitig zu beschäftigen, sollte ein selbstverständlicher Teil der Unternehmenskultur sein.

  1. Startup-Szene im eigenen Umfeld beobachten und gegebenenfalls beteiligen.

Wenn etablierte Unternehmen nicht selbst in die Entwicklung neuer Technologien oder Dienstleistungen investieren wollen oder können, gibt es immer noch die Möglichkeit, die Szene zu beobachten und sich darüber Neuentwicklungen zu sichern. Ein Startup zu Beginn der Erfolgskurve zu kaufen oder mit ihm zu kooperieren, ist dabei sicher sinnvoller, als zu warten, bis der Erfolg den Wert des Unternehmens ins Unermessliche gesteigert hat.

Hinfallen – Aufstehen – Krone richten – Weitermachen

Innovationen entstehen, indem Ideen generiert werden. Diese Ideen werden dann weiter verfolgt und ausprobiert. Dabei entstehen auch jede Menge Irrtümer, von denen die Öffentlichkeit nichts mitbekommt. Diese Irrtümer sind aber wichtig, um daraus zu lernen und wiederum neue Ideen zu generieren. Kommt also am Ende eine disruptive Technologie zum Vorschein, gab es vorher unter Umständen jede Menge Ideen, die sich als unzureichend erwiesen haben. Unternehmen und hier ganz besonders die jeweiligen Firmenlenker können solch eine Kultur forcieren. Ja sie müssen es sogar, wollen sie langfristig überleben. Freiräume in Denken und Handeln – innerhalb transparenter Leitplanken – bieten einen Nährboden für Ideen. Der firmeninterne Umgang mit Irrtümern motiviert zum Weitermachen – oder eben nicht. Rechtzeitige Einbeziehung von Kunden und Lieferanten eröffnet neue Möglichkeiten der Betrachtungsweise von Produkt- oder Dienstleistungsideen. Letztlich hilft auch der gezielte Austausch über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus, um gerade Trends nicht zu verschlafen. Eigentlich nichts Neues… auch wenn Wirtschaft und Wissenschaft für das Ganze mal wieder eine neue Bezeichnung gefunden haben: Disruption… WAS?


*Marcus König begleitet als facettenreicher Berater und Coach Unternehmen in Veränderungsprozessen. Mehr als 25 Jahre Erfahrung in verschiedenen Managementpositionen an unterschiedlichen Standorten, in verschiedenen Ländern mit wechselnden Aufgaben und Verantwortungen hat vor allem seinen Umgang mit Menschen geprägt. Aus diesem Grund betrachtet er Prozesse immer an der Schnittstelle Mensch/Business, d.h. der Mensch wird in den Mittelpunkt des geschäftlichen Handelns gerückt. Seine Überzeugung: „Die besten Prozesse und Produkte funktionieren am besten mit zufriedenen, motivierten und engagierten Menschen.“