Karin-Probst

Die schönste Art, egoistisch zu sein: Selbstfürsorge aus hypnosystemischer Sicht

von Karin Probst, 2-Change*

Viele Menschen kennen das: Man weiß eigentlich genau, was einem gut täte – man kommt nur so selten dazu. Und wenn man es sich endlich doch mal so richtig gut gehen lässt, dann plagt einen das schlechte Gewissen oder das Nachgrübeln über die Belange der Arbeit…

Warum ist es eigentlich so schwer, dieses „Im Moment sein“ beziehungsweise die Balance von Egoismus und Altruismus mit Leichtigkeit zu finden? Es gibt bestimmte Berufsgruppen, wie Krankenschwester oder Altenpfleger, die so achtsam im Geben sind – und sich so schwer damit tun gut für sich selbst zu sorgen, ja sich oftmals sogar die Erfüllung der eigenen Grundbedürfnisse versagen. Sie trinken zum Beispiel selbst nicht ausreichend – obwohl sie genau das ihren Schützlingen immer wieder sagen. Nehmen Sie sich denn schöne ruhige Pausen im Alltag? Lassen Sie sich täglich verwöhnen? Pflegen und hegen Sie Ihren Körper mit liebevollen Bemerkungen, oder gehören Sie eher zu den Spezies, die sich bei jedem Blick in den Spiegel mit Selbstabwertungen wie: „Mensch, ich sollte aber dringend mal abnehmen“ belegen? Oder gelingt es Ihnen zum Beispiel schon, die Form Ihres Nasenrückens oder Ihre Augen mit Begeisterung zu bewundern?

Hand aufs Herz:
a) Wann waren Sie das letzte Mal so richtig faul? Wann haben Sie sich zuletzt die Zeit genommen stundenlang mit Ihrem Lieblingsbuch im Bett zu liegen?
b) Und wann hatten Sie das letzte Mal ein schlechtes Gewissen, à la „ich sollte unbedingt mehr Sport machen…“ oder „ich kann doch jetzt nicht so egoistisch sein und die Vertretung absagen?“
Wenn Ihnen eher die Druckgefühle auf der Brust vertraut sind, das Verschieben der Dinge, die einem eigentlich gut täten – dann ist der folgende Artikel für Sie vielleicht ganz interessant. Wenn Sie zu den glückseligen Glückspilzen gehören, die a) ankreuzen konnten, dann lesen Sie auf keinen Fall weiter, sondern nutzen die Zeit vielleicht mit schönem Nichtstun…

Kein(e) Superman/-frau
Es gibt viele Menschen, die es gerne haben, wenn es anderen gut geht, wenn die Arbeit mit Qualität gemacht ist – und wenn sie es allen recht machen können. Das ist ja an sich etwas Feines, doch nur selten ist bei „es allen recht machen“ auch das „es sich selbst recht machen“ inkludiert. Im Grunde suchen wir nach einer harmonischen Lösung, die für alle gut ist – auch wenn wir dabei meist nur „Champignons 2. Klasse Lösungen“ finden können. Das auszuhalten und es angemessen zu bedauern, dass man einfach noch nicht Superman ist, scheint manchmal schwerer zu sein als mit schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen hin und her zu grübeln.

JA zu sich selbst
Was wir also brauchen ist eine Art „Ambivalenz Management“, ein Aushalten dessen, dass wir es trotz aller Mühen langfristig kaum schaffen können, die Belange der Arbeit, Familie und Selbstfürsorge harmonisch und gerecht auszubalancieren. Viele Menschen meinen zum Beispiel, sie könnten nicht NEIN sagen und möchten dies dringend lernen. Aus meiner Sicht stimmt das so nicht ganz, weil sie bereits NEIN sagen können – und zwar zu sich. Es gilt also lediglich zusätzlich zu lernen auch ein NEIN zu einem Anderen zu sagen – und dabei gleichzeitig ein JA zu sich.

Langfristig denken
Nehmen wir als Beispiel die Situation, dass eine Kollegin mich um Unterstützung bittet – andererseits muss ich dringend noch meine Arbeit fertig machen – was tun? Meist entscheiden wir uns für die Belange der Kollegin, weil Altruismus sozusagen in unseren Genen verankert ist. Wir entscheiden außerdem oft zugunsten kurzfristiger Lösungen, nach dem Motto: „Ich mache es halt schnell, dann habe ich wenigstens meine Ruhe…“ Evolutionär gesehen hat die Priorisierung von kurzfristig wirksamen Lösungen Sinn gemacht, weil man ja schließlich nicht wusste, wie lange man noch lebt. Heutzutage aber sehen wir nicht nur im Privaten, sondern auch mit Blick auf unsere gebeutelte Umwelt die Folgen davon, dass es wohl noch eine Weile brauchen wird, bis wir gelernt haben langfristig zum Wohle aller zu denken. Es könnte also hilfreich sein, wenn wir uns zwischen den vielen Anforderungen, die von außen und von innen auf Erledigung drängen, kurz innezuhalten, um uns zu überlegen: „Was ist langfristig gesehen meinen Zielen dienlicher? Ist es wirklich besser mit Unmut dem Drängen der Kollegin nachzugeben und die eigenen Belange zurückzustellen?“ Leider haben wir in der Entwicklung unserer Spezies bisher wohl keine evolutionären Vorteile entwickeln können, wenn wir auf eine „Sowohl-als-auch“ Lösung bestanden hätten: Sowohl deine Belange sind wichtig als auch die meinen. Man stelle sich vor, man würde in dieser Weise mit einem Bären kommunizieren: „Lieber Bär, ich sehe du willst mich fressen um dein Überleben zu sichern, das macht aus deiner Sicht sicher Sinn. Ich aber möchte noch ein Weilchen leben – was machen wir denn jetzt?“

Für ein Nacheinander entscheiden
Wenn man also das tägliche Druckerleben als Ausdruck dessen sehen könnte, dass im Moment zwei oder sogar manchmal mehr Bedürfnisse in uns lebendig sind (im obigen Beispiel waren es „Unterstützung geben“ und „eigene Ziele“ erreichen) – dann könnten wir vielleicht anfangen uns klar und konsequent zu entscheiden für ein Nacheinander, kein „Ent oder weder“. Also im Sinne von: „Ich mache jetzt erst meine Arbeit fertig und dann helfe ich dir gerne noch 20 Minuten“. Oder mit einem Bedauern das Ansinnen ablehnen: „Liebe Kollegin, ich würde dich sehr gerne unterstützen, weiß aber gerade nicht wie, weil ich bis zum Feierabend noch so viel zu tun habe, dass ich froh bin, wenn ich das schaffen kann. Was machen wir denn jetzt?“

Worauf richtet sich unsere Aufmerksamkeit?
Hilfreich in solchen Momenten können Erkenntnisse aus der systemischen Hypnotechnik sein, die Gunther Schmidt vom Milton-Erickson-Institut in Heidelberg so trefflich entwickelt hat. An dieser Stelle seien seine Vorträge auf YouTube erwähnt, welche sehr deutlich die Wirksamkeit davon demonstrieren, dass unser Erleben letztendlich davon gesteuert wird, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Wenn ich also den ganzen Tag vor mich hin murmle: „Ich habe keine Zeit“, dann glaubt unser Hirn uns das. Man könnte hier bereits von einer Hypnose sprechen – nur leider von keiner dienlichen. Viel förderlicher wäre es zu sagen: „Ich habe Zeit! Alles ist meine Zeit, die ich mir schenke oder einer Anforderung widme – wenn ich es möchte“. Vielleicht können Sie den Unterschied bereits spüren, wenn Sie beide Formulierungen einmal laut sagen – und darauf achten, ob und wo ein Druckerleben in Ihrem Körper stattfindet. „Ich habe keine Zeit“ – oder „Ich habe Zeit und alles ist meine Zeit“. Was fühlt sich besser an? Beides ist wahr und hat nichts mit „think positive“ oder rosa gefärbter Duftlampen-Kommunikation zu tun – sondern kann helfen, selbst sehr herausfordernde Themen so anzusprechen, dass eine Lösung möglich wird. Wie würde es sich zum Beispiel anfühlen, wenn Sie zu Ihrem Chef sagen: „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir drei Punkte nennen könnten, die Sie an meiner Arbeit schätzen“ – statt zu sagen (wenn man es sich traut, meist bleibt es hier bei einem Lästern unter Kollegen): „Sie können auch nur meckern!“

Implizierte Lösung
Da unser Hirn kaum in der Lage ist Annahme und Wirklichkeit zu unterscheiden, ist die erstere Variante viel günstiger, weil hier durch eine Hypnotrance der Lösungsvorschlag bereits impliziert ist – und die Kritik erst gar nicht formuliert werden muss. Das ist somit hilfreicher, weil man den Anderen nicht durch Kritik beschämt, sondern einfach sagt was man will. Beim Metzger haben wir dieses zielführende Verhalten bereits gelernt. Hier treffe ich kaum Menschen, die sagen: „Ich will keine Salami!“ – und davon ausgehen, dass der Metzger dann schon weiß, dass man feine Gelbwurst möchte.

Ein freundlicher Blick auf die Welt erlaubt es…
Statt sich zu ärgern, macht es also Sinn lieber klar anzusprechen, was man als hilfreich empfinden würde – auch wenn es nicht erfüllt werden kann. Man weiß mittlerweile, dass das stressgeplagte Druckerleben von „Ich sollte“ sich sogar auf unser Erbgut auswirken kann. Es bilden sich sogenannte Histone, die man sich wie Masken auf dem Erbgut vorstellen kann. In Momenten der Ruhe oder der achtsamen und gütigen Kommunikation mit sich werden diese Genome demaskiert – und können ihre Arbeit im ursprünglich gedachten Sinne wieder aufnehmen. Wenn Sie also schon die Welt nicht ändern können, dann wäre es Zeit den Blick auf diese etwas freundlicher zu gestalten und weniger Raum dem Lästern oder Abwerten zu geben. Im Wissen darüber, dass man sich dadurch die Kraft nimmt, wirklich etwas zu gestalten und sich und seinen Nachkommen sogar dadurch schädigt.

… wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen!
Wenn Sie also in einer Abgrenzungssituation zu sich sagen: „Ich mache es jetzt so gut ich kann! Wenn ich es besser könnte, dann würde ich es machen! Ich darf meine Belange genauso im Blick haben wie die Belange von außen!“ Dann helfen Sie Ihrem Gehirn mit den Bereichen zu antworten, die Denken und wohlüberlegte Entscheidungen möglich machen – statt mit gestressten Reflexhandlungen, Schuldzuweisungen, Druckgefühlen oder Abwertungen. „Ich denke, also bin ich“, oder: „So wie ich auf die Welt schaue, so schaut sie auf mich.“ Von Karl Valentin gibt es den netten Spruch:

„Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch!“

Statt sich also mit Klagen und Lamentieren abzugeben, dass es regnet, könnte man einen Schirm mitnehmen und das Beste daraus machen. Stress entsteht immer wenn ich möchte, dass die Welt anders ist als sie nun mal eben ist: „Ich sollte dünner sein, mein Partner liebevoller, meine Kollegin stiller, der Stau weg und die Welt insgesamt viel besser…“

Die Welt so betrachten, wie sie jetzt gerade ist
Aus systemischer Sicht lernt man die Welt so zu betrachten, wie sie sich einem jetzt gerade in diesem Augenblick zeigt und den Blick darauf zu lenken was ist – dabei jedoch gleichzeitig die Sehnsuchtsziele nicht aus den Augen zu verlieren. Wichtig dabei ist, die Jetzt-Situation nicht mit Abwertung zu belegen, sondern die Champignons 2. Klasse genauso achtsam zu behandeln – weil das, was sich jetzt zeigt, gerade die bestmögliche Lösung ist. Und wenn ich es besser könnte, würde ich es besser machen. Wobei hier sicher dienlich wäre zu definieren, was besser überhaupt bedeuten würde. Nehmen wir zum Beispiel die genetische Veränderung des Weizens. 1958 gab es hierfür noch einen Nobelpreis, weil so der Welthunger endlich gemildert werden konnte. Heute plagen sich viele Menschen mit der Veränderung des Genoms, weil wir – evolutionär gesehen – keine Zeit hatten uns anzupassen.

Durch ein kleines Innehalten ganz „Im Moment sein“
Im Zen-Kloster gibt es ein Ritual, beim Klang eines Glöckchens kurz innezuhalten und zu reflektieren: „Macht das, was ich im Moment mache überhaupt Sinn? Fühlt es sich stimmig an? Was brauche ich eigentlich?“ Vielleicht können auch Sie diese Meisterschaft üben, neue Synapsen zu verkoppeln: Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, nicht reflexhaft zu reagieren mit: „Oh nein, nicht schon wieder eine Störung“ – sondern mit: „Ah, es klingelt. Mal schauen, was ich lernen könnte?“ Eine freundliche Erinnerung also, kurz tief durchzuatmen, um mich zu besinnen – und dann erst den Hörer abnehmen. Es würden drei Minuten am Tag reichen – ein kleines Innehalten, um dieses freundliche „Im Moment sein“ zu üben. Hilfreich sind dabei folgende Fragen:

1. IM MOMENT SEIN: „Was genau ist jetzt in mir? Nicht morgen, nicht gestern, nicht beim Anderen – sondern jetzt und in mir?“

2. ACHTSAMKEIT FÜR BEDÜRFNISSE: „Was brauche ich eigentlich gerade? Welches Bedürfnis möchte gehört und erfüllt sein? Was mögen wohl die Bedürfnisse meines Gegenübers sein?“

3. ES IST WAS ES IST: „Was ist meine Konstruktion der Wirklichkeit? Ist es wirklich echt / echt wirklich, was ist meine Bewertung oder Annahme über die Situation?“

4. VERANTWORTUNG: „Was ist langfristig zum Wohle aller jetzt wohl das Beste?“

5. WORST CASE: „Wie könnte ich sicherstellen, dass das Schlimmstmögliche eintrifft?“ (Das ist eine paradoxe Intervention – und manchmal grinsen dann die Teilnehmer und sagen: Einfach so weitermachen wie bisher…)

6. VW-REGEL: „Um was kann ich bitten? Welchen Wunsch kann ich – anstatt eines Vorwurfs – aussprechen?“

7. WERTSCHÄTZUNG: „Was von dem, was ist, kann ich wertschätzend anerkennen, als die jetzt beste Lösung?“

Damit der Frontallappen kein Jammerlappen mehr ist!
Unsere Blickweise auf die Welt steuert, mit welchen neuronalen Verankerungen wir auf das Geschehen reagieren – und das hat Auswirkungen bis auf unseren biochemischen Stoffwechsel: Nicht umsonst sagt man: „Ich ärgere mich“. Einer Stressreaktion geht also immer eine Bewertung dieser Situation voraus. Zeit also die Sicht auf die Dinge zu erweitern, indem Sie zum Beispiel jeden Morgen drei Dinge finden, die Sie auf dem Weg zur Arbeit als schön, angenehm oder inspirierend betrachten. Und an jedem Feierabend sollten Sie unbedingt Ihr tägliches Wertschätzungstraining fortsetzen: Was ist Ihnen heute geglückt? Wem könnten Sie dankbar sein? Wer hat Ihnen heute zum Beispiel ein nettes Lächeln geschenkt? Bereits nach zwei Wochen führt diese Übung zu nachweislichen Auswirkungen auf die Aktivierung des Frontallappens und auf die Senkung des Blutdrucks. Eckart von Hirschhausen hat mal so trefflich gesagt: „Dann ist Ihr Frontallappen kein Jammerlappen mehr…“

* Karin Probst begleitet als zertifizierter Business-Coach internationale Unternehmen und Institutionen zu den Themen Stress- und Burnout-Prävention mit Trainings, Coaching und Beratung. Sie hat das KompetenzNetz Burnout gegründet. Die frühere Schauspielerin an führenden Theatern Deutschlands ist inzwischen auch als Lehrtrainerin an verschiedenen Hochschulen und Zentren für Hochschuldidaktik tätig. Weitere Informationen unter www.2-change.de.