K21 IIAngst II

Der größte Erfolgskiller ist Angst

Von Anne Schüller 

Angst kommt in vielen Schattierungen daher. Sie kann eine freundliche Warnerin sein, die uns schützt. Sie kann uns auch kurzzeitig zu Höchstleistungen führen. Dauerangst hingegen versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft, sie mindert seine Leistungskraft und ruiniert unsere Gesundheit. Vor allem aber sabotiert andauernde Missstimmung die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben.

Die Glücksforschung weiß längst, dass Menschen mit Glücksgefühlen über sich hinauswachsen und ihre Leistungsfähigkeit um bis zu 100 Prozent steigern können. Umgekehrt sinkt die Performance von Menschen unter Dauerstress auf unter 50 Prozent. Druck verengt das Gehirn und fabriziert den gefürchteten Tunnelblick. Nur, wem es gut geht, kann Ideenreichtum entwickeln und Außergewöhnliches vollbringen.

Auf der Suche nach dem Happy End

Unser Hirn liebt freundliche Gesichter und bevorzugt positive Beziehungen. Und es will das Happy End. Das wissen begnadete Filmemacher, erfolgreiche Romanschriftsteller – und gute Führungskräfte wissen es auch. „Das ultimative Ziel des Menschen ist das Glück“, hat schon Thomas von Aquin gesagt. Und die moderne Hirnforschung gibt ihm Recht: Wir kaufen lieber Glück als Angst. Das gilt für kaufende Kunden genauso wie für Mitarbeiter, die die Ideen ihrer Chefs ‚kaufen‘ (sollen). Menschliches Verhalten wird grundsätzlich bestimmt vom Streben nach Belohnung und dem Vermeiden von Bestrafung. Und vom Gemeinschaftssinn.

„Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben“, meint der Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer in seinem Buch ‚Prinzip Menschlichkeit‘. Ausgehend von neuesten neurowissenschaftlichen Befunden postuliert er darin das Bild eines auf Kooperation ausgerichteten Menschen. „Die Motivationssysteme schalten ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht, und sie springen an, wenn das Gegenteil der Fall ist, wenn also Anerkennung oder Liebe im Spiel ist“, schreibt er weiter.

Dopamin – der Glücksbotenstoff 

Der maßgebliche Treiber dieser Prozesse ist ein Glücksbotenstoff aus dem zelebralen Belohnungssystem. Sein Name: Dopamin. Dopamin im Blut heißt: Wir fühlen uns gut, sind in freudiger Erwartung, hegen Zuversicht in unser Potenzial und glauben an die Aussicht auf Erfolg. Wir beschäftigen uns mehr mit dem Pro als dem Kontra. Unser Programm schaltet auf ‚agieren‘ und fährt unser Leistungsvermögen hoch. Diese Strategie der Natur hilft uns nicht nur, zu Überleben, sie kann unsere Lebensqualität auch auf bemerkenswerte Weise verbessern. So tun Menschen am liebsten das, wofür eine Belohnung in Aussicht steht.

Die Amygdala: unser Gefahrenradar

Haben wir Angst, dann war im Hirn die Amygdala in Aktion. Sie untersucht alle Ereignisse, die auf uns einwirken, höchst wachsam auf emotional wichtige Faktoren. Sie ist unser Frühwarnsystem, unser neuronales Radar für bedrohliche Situationen und potentielle Gefahren. Sie registriert jede Bewegung und hört das schier unhörbare Rascheln im Gebüsch. Sie interpretiert die Bedeutung nonverbaler Mitteilungen und jede Veränderung in der Stimme. Sie lässt uns automatisch der Blickrichtung anderer Menschen folgen. Sie sucht nach freundlichen Gesten und finsteren Gestalten. Sie sondiert unaufhörlich die Mimik Anderer und decodiert vermeintliche Absichten. Denn jede Stimmungsschwankung macht sich mehr oder weniger hauchzart im Muskelspiel eines Gesichts bemerkbar.

Wer sich mit der Amygdala seines Gesprächspartners anfreunden möchte, dem sei vor allem eines empfohlen: positive Authentizität. So reagiert ein Lügner mit seinem emotionalen Ausdruck um etwa zwei Zehntel Sekunden langsamer – er muss diesen ja zunächst noch ‚denken‘. Diese Verzögerung verrät die Absicht. Aus dem gleichen Grund funktioniert auch die von manchen Trainern so heiß gepriesene bewusst herbeigeführte Imitation (Einnehmen der gleichen Sitzhaltung etc.) nicht. Eine gut trainierte Amygdala schöpft rechtzeitig Verdacht.

Sie entlarvt Falschheit und Manipulation. Sie spürt Bedrohungen kommen und sorgt blitzschnell für die passende Reaktion: panikartige Flucht, dosierter Angriff oder atemloses Erstarren. All dies wird vollautomatisch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle unseres Bewusstseins mithilfe der Stresshormone Kortisol und Noradrenalin erledigt. Wir spüren nur das Ergebnis: Angst oder Furcht, Zorn oder Wut, Zögern und Zagen –  je nachdem.

Angst lähmt und macht dumm

Angst kann uns kurzzeitig aus der Reserve locken und an die Grenzen unserer Möglichkeiten führen. Doch sie paralysiert auch und zerstört. Dauerangst versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft, sie mindert seine Leistungskraft und führt am Ende in den Burnout. Übellaunige, einschüchternde, herumkommandierende, machtbesessene, pathologische Manager stellen für Mitarbeiter eine permanente Bedrohung dar. Die Autoritätsangst, die sie produzieren, lässt Mitarbeiter wie gelähmt am unteren Ende ihres Potenzials zurück.

In solchen Situationen fährt die Amygdala den Denkapparat herunter und springt auf ein simples Notfall-Programm: abhauen, draufhauen oder totstellen. In den Zeiten der Industriegesellschaft führte ein Klima der Angst bisweilen noch zum Erfolg, da dort die Arbeiter nicht denken, sondern nur ‚spuren‘ mussten. Untergebene allerdings, die wie einst Charlie Chaplin in seinem Film ‚Moderne Zeiten‘ immer an den gleichen Schrauben drehen, können Unternehmen heute kaum mehr gebrauchen. Simple Produktionsleistungen sind für immer an die sogenannten Schwellenländer verloren. ‚Hände‘ sind in fast allen Ländern billiger zu bekommen.

Bei uns werden vor allem Kopfarbeiter gebraucht. Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Das geistige Know-how ist unser großes Wettbewerbsplus. In wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaften ist ein engagierter, situativer, flexibler und hochwertiger Output gefragt. Doch Kreativität braucht Heiterkeit – und Weite im Hirn. Zwischen den Synapsen, den neuronalen Verbindungsstellen, muss es verstopfungsfrei fließen. Will heißen: Kopfarbeiter brauchen freundliche und inspirierende Chefs. Nur dann können und wollen sie ihr intellektuelles Potenzial dem Unternehmen voll und ganz zur Verfügung stellen.

Zuckerbrot ist besser als Peitsche

Freundlichkeit als Führungstugend bewirkt weit mehr als Drohungen und Aggression. „Je größer die Angst, desto stärker ist die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen. In diesem Zustand mentalen Elends nehmen ziellose Gedanken unsere Aufmerksamkeit in Beschlag“, schreibt Daniel Goleman in seinem Buch ‚Soziale Intelligenz‘. Haben wir Angst, fühlen wir uns klein und minderwertig, und das strahlt auf alles ab, was wir tun.

Es ist also vor allem die Angst, die aus den Unternehmen verschwinden muss. Sie ist der größte Leistungskiller. Sie führt zu Minderleistungen, zu destruktivem Handeln und schließlich in die Resignation. Dies drückt sich meist so aus, dass die Mitarbeiter kaum mehr bereit sind, offen ihre Meinung zu sagen, neue Ideen einzubringen, kooperativ zusammenzuarbeiten, neue Herausforderungen anzunehmen oder die Qualität ihrer Arbeit zu verbessern. Sie begeben sich zunächst in den Zustand des angepassten Ja-Sagens, dann in die freizeitorientierte Schonhaltung, dann in die innere Kündigung und schließlich in die Sabotage.

Wer Angst hat, reduziert auch seine Lernfähigkeit und macht Fehler. Eine übernervöse Amygdala beizeiten zu besänftigen, das kann demnach sehr zielführend sein. Es scheint, dass schon das Benennen von Störungen und das Reden über Probleme sie wieder beruhigt. Denn dies zeigt ihr, dass wir drohende Gefahren wahrgenommen haben. In einer Mitarbeiter-Chef-Beziehung bedeutet das, sofort miteinander zu reden, wenn es etwas zu klären gibt. Erst, wenn alles im Reinen ist, können wir wieder zur Hochform gelangen. Und die wird zunehmend gebraucht, denn nur unternehmerische Spitzenleister werden die Zukunft erreichen. Mittelmaß hingegen ist vom Aussterben bedroht.

Die Autorin: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, zehnfache Buch- und Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als Europas führende Expertin für Loyalitätsmarketing und ein kundenfokussiertes Management. Weitere Informationen:  www.anneschueller.de und www.touchpoint-management.de.

Buchtipp: „Touchpoints – Auf  Tuchfühlung mit dem Kunden von morgen“ von Anne Schüller.